Hahnemann Gin D12 ist der erste homöopathische Gin der Welt.

Hahnemann Gin | Alkoholfrei? Nein, homöopathisch.

Wir treffen Samuel Ebersbacher in seiner Manufaktur in einem Stuttgarter Vorort. Ein alter Bauernhof, den er günstig ersteigert und ebenso günstig in die Wiege der homöopatischen Trinkkultur verwandelt hat. „Gelch da“, schreibt er, als wir bereits seit zehn Minuten vor verschlossenen Türen stehen und: „Srry, bissi knülle.“ Wenige Minuten später biegt er auf den Hof ein. Zielsicher parkt er seinen knatternden Volvo 240 in die erstaunlich enge Lücke zwischen einem antiken Traktor und einer fertig gepackten Palette seines Hahnemann Gins. Die Tür des Wagens kann er nur einen Spalt breit öffnen, für Ebersbacher kein Problem. Grazil tänzelt er aus seinem Youngtimer, schließt dessen erstaunlich schrammenfreie Tür und begrüßt uns: „He Leude, hab‘ ich Saufi jehörd oder wie schaut’sn aus, bidde?“

Endlich besoffen Auto fahren!

Die Manufaktur ist aufgeräumt, überall stehen kleine Fläschchen mit Kräutern und Gewürzen, auf einem runden Tisch stehen drei Erlenmeyerkolben in unterschiedlichen Größen. Stolz erzählt uns Ebersbacher, dass er gerade in der Bar eines Freundes neue Signature Cocktails probiert hat. „Rischtisch geiles Zeugs dabei“ lallt er uns vor und erzählt euphorisch von einem irre intensiven Hahnemann & Soda mit Citrus limonum-Globuli. Als wir ihn fragen, ob er in seinem Zustand wirklich noch hätte fahren sollen, lacht er nur und zeigt auf ein Poster im Hinterzimmer. Die Aufschrift: „Endlich besoffen Auto fahren!“

Nur ein Jahr zuvor saß Samuel Ebersbacher traurig, weil stocknüchtern, in ebenjener Bar, von der er gerade sturzvoll zurückgekommen ist. Damals war er Fahrer, seine Freunde um ihn herum tanzten auf den Tischen, aus den Boxen schallte „Dicht im Flieger“ von Harris & Ford und Julian Sommer. Vor ihm im Glas? Ein Alkoholfreier „Gin & Tonic“. „Aromasch … arosch … also vong Geschmack her war der schon janz geil“, berichtet der Entrepeneur. „Aber der hat nisch geballeeeeert!“, schreit er hinterher und reckt linkshändig die Pommesgabel des Teufels in die Luft. In seinem Kopf scheint irgendein Lied zu spielen.

Hahnemann Gin D12 in einem Hahnemann Gin & Soda Cocktail mit Citrus limonum-Globuli.
Hahnemann Gin D12 in einem Hahnemann Gin & Soda Cocktail mit Citrus limonum-Globuli.

Genusstrinken? Für Ebersbacher blanke Dekadenz, etwas das sich Schnapskonzerne haben einfallen lassen, die „uns“ mit ihren alkoholfreien Spirituosen jetzt auch noch nüchtern die Kohle aus den Taschen ziehen wollen. Er erzählt uns von seiner glorreichen Jugend und Momenten, an die er sich bis heute gerne erinnert. Es ist sechsmal hintereinander dieselbe Geschichte darüber, wie er hinter den Jugend-Bauwagen seines Dorfes gereiert hat, genau dorthin wo gerade einer seiner Kumpels schlafend im Gras lag. Jedes mal, wenn er die Story erzählt, lacht er lauter. „Und Nüschternheit?“ fragt er in den Raum, ohne uns anzusehen. „Nüschternheit isch auch dekadent. Dass musste dir emotional ersma leisten können bei den Wasserpreisn.“

Eine Lösung fand er schließlich im Medizinschrank seiner Mutter, in dem er eigentlich nur Kopfschmerztabletten gesucht hatte. Stattdessen gab es dort nur Arnica-Globuli. „Und dann war da ’n Bild von Samuel Hahnemann drauf und weil isch auch Samuel heiß, fiels mir wie Schuppn von’n Augen. SCHUBBN. VON’N. AUGN!“ brüllt er, lässt sich auf einen alten braunen Ledersessel fallen und schläft sofort ein. Während er seinen Rausch ausschläft, sehen wir uns in der Manufaktur um. Laut der Versandliste hat er in den letzten 3 Wochen Hahnemann Gin im Wert von 16.000 Euro verkauft. Laut der Bestellliste und den noch immer gut gefüllten Mini-Apothekerfläschchen auf den Regalen zehrt er für die Produktion noch immer von seiner ersten Warenbestellung von vor 9 Monaten. Gesamtwert: 23,80 Euro, für zwei Haushalts-Gewürzsets und ein paar Flaschen stillem Wasser von amazon.it. Neben der Warenliste finden wir Ebersbachers Notizbuch. In krakeliger Schrift steht darauf „Organon des Rauschs“.

Similia similibus inebrietur – Besauf dich mit dem, was nüchtern macht

Das Buch beschreibt ausführlich, wie er die homöopathischen Prinzipien von Samuel Hahnemann auf seinen Hahnemann Gin anwendet. Für Hahnemann galt das Ähnlichkeitsprinzip („Similia similibus curentur“), als er sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Homöopathie aus den Fingern saugte: Eine Substanz, die in hoher Dosis bestimmte Symptome verursacht, soll laut Hahnemann in stark verdünnter Form genau diese Symptome heilen. Gegen akute Schlaflosigkeit reicht man in der Homöopathie etwa „Coffea cruda“, sprich ein hochverdünntes Kaffee-Präparat. Und „hochverdünnt“ ist in diesem Fall ernst gemeint. Bleiben wir beim Kaffee-Beispiel:

Die Herstellung von Coffea Cruda beginnt mit der Verarbeitung der rohen Kaffeebohnen, die zu einem feinen Pulver zerkleinert werden. Röstgrad? Wumpe. Dieses Pulver wird anschließend mit Ethanol und Wasser vermischt und die so entstandene Lösung wird über mehrere Tage bei Raumtemperatur stehengelassen und gelegentlich gerührt. Quasi wie Mazeration, nur ohne Geschmack. Danach wird die Flüssigkeit sorgfältig abfiltriert, um die feste Pflanzenmasse zu entfernen. Das Ergebnis ist die sogenannte Urtinktur, die die Wirkstoffe der Kaffeebohne in konzentrierter Form enthält. Oder der schlimmste Kaffee, den ihr nie getrunken habt.

Um nun den gängigen Wirkstoff Coffea cruda D12 herzustellen, wird die Urtinktur nach dem Dezimalsystem potenziert, daher die sogenannten D-Potenzen der Homöopathie. Dabei wird die Urtinktur im Verhältnis von 1:10 mit einer Alkohol-Wasser-Mischung verdünnt. Die Mischung wird anschließend zehnmal kräftig geschüttelt, das nennt sich Dynamisierung. Am Ende hat man Coffea cruda mit der Potenz D1 im Glas. Für die Herstellung der D2-Potenz wird ein Teil der D1-Lösung erneut mit neun Teilen des Verdünnungsmittels gemischt und geschüttelt. Dieser Prozess wird insgesamt zwölfmal wiederholt. Tadaa: Coffea cruda D12. Wasser mit ungefähr zwei Molekülen Kaffee, das gegen Schlaflosigkeit hilft. Oder wie Hahnemann sagt: es enthält die energetische Information der Kaffeebohne, die, eben weil sie so verdünnt auftritt, nicht mehr wach macht, sondern müde. H2O ist die warme Milch des einfachen Mannes.

Ein neuer Batch Hahnemann Gin ist in der Mache. Das hier ist aber nur ein Marketingbild. Die für den neuen Hahnemann Citronum Gin verwendete Menge Zitrone entspricht einem 40.000.000.000tel einer ganzen Zitrusfrucht.
Ein neuer Batch Hahnemann Gin ist in der Mache. Das hier ist aber nur ein Marketingbild. Die für den neuen Hahnemann Citronum Gin verwendete Menge Zitrone entspricht einem 40.000.000.000tel einer ganzen Zitrusfrucht.

Im Organon des Rausches nun beschreibt Samuel Hahnemanns Namensvetter Ebersbacher ausführlich, wie er genau diesen Grundsatz für die Produktion alkoholischer Getränke nutzt. Alkoholfreier Gin? Für ihn sinnlos. Er wünscht sich Rausch, auch wenn er fahren muss. Also braucht er eine Spirituose mit den Wirkprinzipien der Homöopathie: Heilt, pardon: ballert, hat aber keine Nebenwirkungen. Kein Kater, kein Einbüßen der Fahrtüchtigkeit, kein besoffen die Exfreundin anrufen, nur gute Laune, verlorene Hosen und feuchte Aussprache. Sein Rezept dafür? Laut seines Organon: Wasser. Schließlich hilft wenig besser gegen den Suff als kaltes, klares H2O. Also müsse es laut Hahnemann ja besoffen machen, wenn man es nur stark genug verdünnt. In Ebersbachers Flaggschiff-Produkt Hahnemann Gin D12 landen deshalb in ebenjener Potenzierung Aqua pura (destilliertes Wasser), Aqua marina (Meerwasser) und Aqua fontana (Quellwasser). Damit sich die Mische dann auch Gin nennen darf, muss bekanntlich Wacholder drin sein. Der findet sich in einer C6-Potenz in der Flasche wieder – sechsmal hintereinander wurde dafür eine „Urtinktur“ mit Wacholder im Verhältnis 1:99 verdünnt und geschüttelt.

Nüchternheit als Krankheit

Zu den größten Skeptikern des Hahnemann Gins zählten – zumindest zu Beginn – Hahnemanns Erben. Heilpraktiker aus ganz Deutschland liefen Sturm gegen die Einführung des Produkts, vermuteten gar einen schlechten Aprilscherz. Ebersbacher als Marketing-Profi ging in die Offensive, berief ein Symposion ein und lud seine Kritiker zur offenen Diskussion. Zur Eröffnung verteilte er als allererstes Gratisflaschen. Seine Gäste ließen sich aber nicht einlullen ließen. Einer der Heilpraktiker wirft ihm in einem Youtube-Roundup der Veranstaltung vor: „Nur weil Wasser gegen Rausch hilft, etwa durch Rehydrierung, verursacht ein homöopathisches Präparat mit Aqua fontana noch lange keine rauschähnlichen Symptome. Es ist im besten Fall ein Antidot, kein Simile. Homöopathisch wirksam wäre nur eine Substanz, die erhebliche Rauschsymptome bei Gesunden auslöst, etwa das gute, alte Strychnin, um den Rausch beim Kranken zu behandeln.“

Die am häufigsten wiederholte Stelle des Videos ist Ebersbachers Erwiderung darauf, Clips davon machten in jeder besseren alternativen Telegramm-Gruppe die Runde. Ruhig, mit mildem Lächeln und sanft lallend sagt er da: „Ein gutes und richtiges Argument, mein Bester. Aber ich denke, dass Sie mir damit meine Souveränität absprechen: Was krankhaft ist und Leiden verursacht, das entscheiden doch nicht Sie als Heiler – das entscheide ich als Patient oder in meinem Fall eben als Gast. Natürlich ist Nüchternheit medizinisch gesehen kein abnormer Zustand – so wie auch die Abwesenheit von Schlaf keiner ist. Und doch behandeln Sie Schlaflosigkeit, obwohl das bloße Nicht-Schlafen ja zunächst auch kein Symptom ist, sondern ein subjektiv empfundener Mangel. Das deckt sich übrigens mit dem Organon der Heilkunst, wo Hahnemann schreibt, es komme nicht auf die Krankheit selbst, sondern auf die „gefühlsmäßigen und beobachtbaren Symptome“ an, wie sie vom Patienten empfunden werden. Ich sage: Solange ich unter Nüchternheit leide, kann ich sie auch behandeln. Auch Kent betont, dass die Gemütssymptome oft den Ausschlag geben bei der Mittelwahl. Und was ist meine Gemütssymptomatik, wenn nicht die Sehnsucht nach Rausch, dem Zustand freudiger Enthemmung? Ergo: wenn Wasser mich nüchtern macht, dann muss verdünntes Wasser mich folgerichtig entnüchtern.“

Die Reaktion von Ebersbacher Gegenüber? Ein kurzes Grübeln, ein leises „Hm, okay“ – dann prosten sich die beiden zu. Mit Hahnemann Gin, versteht sich. Ebersbachers Argumentation ist nach homöopathischen Maßstäben allem Anschein nach und ganz buchstäblich: wasserdicht.

Hahnemann Gin knallt nicht über den Placebo-Effekt hinaus

„Wer lallt, hat Recht!“, pöbeln Ebersbachers zahlreiche Fans die Kritiker im Internet gerne an, wenn die sich über den Sinn und Unsinn des weltweit ersten homöopathischen Gins echauffieren. Für die eingeschworene Community wird jeder, der gegen den Hahnemann Gin wettert, von den Lobbyisten der Schul-Mixologie bezahlt, vor allem von den Neidern von den Alkoholfreien Spirituosen. Mit denen möchte man ausdrücklich nicht verwechselt werden. Umgekehrt gilt dasselbe. Die „Alkoholfreie Lobby“ wehrt sich tapfer aber erfolglos gegen die Ausnahmeregelung, mit der der Gin diese Bezeichnung tragen darf, obwohl er weder Alkohol noch auf Molekularebene nachweisbaren Wacholder enthält, geschweige denn dass dieser olfaktorisch vorherrschend wäre, wie es die EU-Verordnung für Gin vorsieht.

Wie das geht? Über den sogenannten Binnenstammtisch. Ebersbachers Brand Ambassadors ziehen seit Ende letzten Jahres durch die Bars und bilden Bartender zu sogenannten Suffpraktikern aus. Sie sagen sich von den üblichen mixologischen Praktiken los und mixen nur noch homöopathisch. Für die meisten ist das der Weg in ein friedlicheres Leben. „Seit ich das so mache, gibt’s bei mir in der Kneipe viel weniger Schlägereien. Die Gäste riechen auch besser“ erzählt einer der Suffpraktiker begeistert unter einem von Ebersbachers Insta-Postings. Einmal pro Monat treffen sich die homöopathischen Bartender zum angesprochenen Stammtisch und versichern sich gegenseitig, dass ihre Gäste nach den Konsum von Hahnemann Gin durch die Bank betrunken waren, allesamt voll wie die Haubitzen.

Diesen Binnenkonsens unter den Suffpraktikern erkennt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Legitimation für die Wirksamkeit an. Täten sie das nicht, müssten sie nämlich auch die baugleiche Praxis bei homöopathischen Medikamenten infrage stellen. Warum das Institut überhaupt zuständig ist? Weil der Zoll bisher aufgrund fehlender Brenntätigkeit die Zuständigkeit verweigert und die behördliche Lebensmittelüberwachung derzeit mit ca. 400 Mitarbeitern im Konklave ist, um abschließend zu klären, ob ein explizit nicht alkoholfreier, sondern homöopathischer Gin eine Nährwerttabelle benötigt. Bis dahin gilt Hahnemann D12 übergangsweise als Arznei – paradoxerweise in bester Spirituosen-Tradition.

Es ist nicht alles Gold, was lallt

Trotzdem gibt es selbst unter den Homöopathie-Gläubigen Zweifel an der Wirkung des Hahnemann Gins: „Ich hab‘ mir jetzt eine ganz Buddel reingegönnt, aber ich fühl mich einfach nur erfrischt und gut hydriert“, berichtet ein Nutzer enttäuscht in einer Amazon-Bewertung. „Und wenn ich mir das Etikett so anschaue, ist das ja einfach nur ein halber Liter Wasser für 36 Euro“. Der erste Kommentar darunter stammt von Schule_des_Lebens_76: „Ersternüchterung, ganz normal.“

Sekunden nachdem wir das Organon des Rausches zuklappen, schaltet der wiedererwachte Samuel Ebersbacher die Anlage an. „Alles egal, denn der Bass knallt brutal“ schallmeit uns der garantiert schulmixologisch intoxikierte Julian Sommer entgegen, während Ebersbacher unbeeindruckt von unserer Anwesenheit den nächsten Batch Gin im Erlenmeyerkolben schüttelt. „Handarbeit! Beschte! ARTESANAL“ grölt er knülle in den Raum, bevor er fortfährt, uns sein nächstes großes Ding zu erklären: einen homöopathischen New Western Dry Gin mit „dem gewissen Kick, wasch janz Neuem. Hadnochkeinajemacht.“ Die Haupt-Zutat, neben drei Sorten Wasser und einem halben Molekül Wacholder? Excrementum bovinum.

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Bilder mit Hilfe von KI erstellt.


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