Was ist eigentlich … Sherry?
Sherry ist eine jener Spirituosen-Kategorien, die unter Bartendern und Spirituosen-Nerds seit Jahren auf’s Wildeste gefeiert werden. Sherry gehört sogar zu den Sachen, bei denen sich ab und zu jemand dazu hinreißen lässt, ihn als das nächste große Ding in den Raum zu werfen. Ergibt auch irgendwo Sinn, schließlich redet dieser Tage auch jeder ein bisschen über Wermut – und der ist genau wie Sherry ein aufgespriteter Wein, der früher mal total hip war, inzwischen aber eher der Speakeasy-Geheimtipp ist.
Falls ihr bei „aufgespriteter Wein“ jetzt an „Weißwein mit Zitronenlimo“ denkt und ein kleines bisschen würgen müsst, ist das okay: Meistens wissen nicht einmal die alten Omis, die das Zeug auch die letzten 30 Jahre schon getrunken haben und es in wirklich jede Soße kippen, was da in ihrem Fläschchen hin- und herschwappt. Starten wir also mit den Grundlagen:
Wo kommt Sherry her?
Aufmerksame Cocktailbart-Leser ahnen es: Wenn wir „Wo?“ fragen, bevor wir zum „Was und wie?“ kommen, dann geht es um ein Getränk mit einer geschützten Herkunftsbezeichnung. Sherry darf nämlich nur an einem Ort auf der Welt hergestellt werden: im sogenannten Sherry-Dreieck in der Provinz Cadiz in Andalusien, Spanien, zwischen den Städten Jerez de la Frontera, Sanlucar de Barrameda und Puerto de Santa Maria. Falls euch das irgendwie bekannt vorkommt: auch der berühmte spanische Weinbrand, Brandy de Jerez, kommt aus genau diesem Dreieck und wird zuweilen auch bei der Sherry-Herstellung eingesetzt.
Dass Sherry nur hier hergestellt werden darf, ist übrigens gar nicht so neu: erst seit 1996 gilt der Beschluss der Europäischen Union über die geschützte Herkunftsbezeichnung. Im Vorfeld kam es zu diversen Streitigkeiten über ähnliche Produkte aus anderen Regionen, die von der Tradition und dem Erfolg der Weine profitieren wollten, die vor allem im späten 19. Jahrhundert in der besseren englischen Gesellschaft unglaublich beliebt waren. Dem Namen hat der Sherry übrigens ebenfalls von den Briten, die im 13. Jahrhundert Andalusien besetzt hatten. Er entstand aus „Seris“, dem Namen, den die Araber der Stadt Jerez gegeben hatten, als sie die Gegend 400 Jahre vorher ihrerseits besetzt hielten.
Wie wird Sherry hergestellt?
Sherry ist eine irre breite Spirituosen-Kategorie mit Ausprägungen von furztrocken-kräutrig bis pappsüß-nussig. Wer einen Fino Sherry mit einem Pedro Ximénez vergleicht, der könnte sich zurecht fragen, ob das wirklich ein- und dasselbe Zeug ist. Die Antwort darauf ist ein sehr unhilfreiches Jein, Unterschiede gibt es nämlich durchaus. Allen Sherrys gemein ist die Tatsache, dass es sich dabei wie vorhin erwähnt um aufgespritete Weine handelt. Man denkt unweigerlich an Sprit und Sprite und eher ans Betrinken denn an Genuss. Der englische Fachbegriff „Fortified Wine“, zu deutsch „verstärkter Wein“ ist da doch deutlich hübscher. Unabhängig vom Namen geht es dabei immer um Wein, der mit hochprozentigem Alkohol versetzt wurde. Beim Sherry stammt dieser Wein stets aus der Palomino-Traube, die 94% der gesamten Anbaufläche der Region einnimmt. Süße Weine und Moste aus Moscatel- und Pedro Ximénez-Trauben werden zusätzlich für süße Sherrys eingesetzt. Die Trauben aus diesen beiden werden getrocknet, wodurch sie praktisch zu Rosinen werden, was den Weinen daraus ihre immense Süße verleiht.
Auch allen Sherrys gemein ist die Lagerung in einer Solera. Aus der Rum-Produktion kennt man den Begriff seit einigen Jahren auch, er stammt jedoch aus der Sherry-Herstellung und hat hier – anders als beim Zuckerrohr –, keinen negativen Beigeschmack. Eine Solera ist eine Pryamide aus mindestens drei Reihen übereinandergestapelter Fässer (aus amerikanischer Weißeiche), in denen Sherry unterschiedlichen Alters reift: Die unterste Reihe trägt selbst den Namen „Solera“, die Reihen darüber heißen Criaderas (zu Deutsch: Kinderstuben). Nur aus der Solera wird Sherry in Flaschen abgefüllt – allerdings höchstens immer 40 Prozent des Inhalts. Der Verlust wird anschließend mit Wein aus der Reihe darüber aufgefüllt, das wiederum Wein aus der Reihe davor aufnimmt. Sobald man einen Teil Sherry aus der oberesten Criadera entnommen hat, wird dort junger Wein eingefüllt. Der muss dafür allerdings mindestens ein Jahr vorreifen.
Dass all diese Regularien eingehalten werden, das überwacht der Consejo Regulador: ein 21-köpfiges Gremium, das dem andalusischen Landwirtschaftsministerium untersteht und dessen Mitglieder großteilig gewählt werden. Neun davon sind Winzer, neun davon stammen aus den Kellereien. Die drei übrigen Sitze bestehen aus dem gewählten Vorsitzenden, den das Ministerium vorschlägt, dem Schriftführer und einem Vertreter der autonomen andalusischen Regierung, der jedoch nicht stimmberechtigt ist.
Welche Arten von Sherry gibt es?
Bis jetzt klingt all das noch nicht danach, als wäre der Sherry etwas, das so komplett unterschiedlich schmecken könnte, wie Sherry es nunmal tut. Bisher vollkommen unerwähnt sind nämlich die durchaus bestehenden Unterschiede in der Herstellung. Bis kurz bevor die Weine ins Fass kommen, ist zunächst mal alles gleich: Wein herstellen, Schnaps reinschmeißen. Sobald der Wein aber im Fass landet, muss der Kellermeister entscheiden, ob der Wein mit oder ohne Hefeflor reifen soll – das entscheidet über den Geschmack und letztendlich auch über die Sorte des finalen Sherrys.
Wird der Wein auf nicht mehr als 15,5 Prozent aufgespritet und das Fass nur zu 85 Prozent befüllt, bildet sich auf der Decke des Weines durch die anfängliche Oxidation eine Hefeschicht. Wir schreiben „anfängliche Oxidation“, weil die Oberfläche des Weins verschlossen ist, sobald die Florschicht ausgebaut ist. Nach der Reifung, zwischen der Entnahme des Sherrys aus der Solera und der Abfüllung, wird dann je nach Art mit süßen, dicken Weinen von Pedro Ximénez und Moscatel gesüßt. Die Süße ist es dann auch, nach der die einzelnen Sherry-Arten maßgeblich unterteilt werden:
Vinos Generosos (trockene Sherrys)
Vinos Generosos dürfen grundsätzlich nicht mehr als fünf Gramm Restzucker aufweisen und sind deshalb entsprechend recht trockene Gesellen. Für einen klassischen Sherry Cobbler seid ihr hier richtig, in der Pur-Verkostung sind diese Sherrys die besten Freunde eingefleischter Fans, für Einsteiger aber oft ein wenig sehr speziell.
Fino
Reift unter einer Florschicht und ist sehr hell. Wird fast immer mit 15 Vol.-% abgefüllt, einige Marken haben aber bis zu 18%, was durch Verdunstung während der Lagerung hervorgerufen wird. Besitzt meist Kräuter- und Mandelnoten und wird gekühlt serviert.
Amontillado
Dieser Sherry reift zunächst unter einer Florschicht, darf aber später auch frische Luft schnuppern. Je nachdem, wie lange er unter der Hefe ruht und wie lange er danach oxidiert, hat er viele geschmackliche Ausprägungen und Farben. Er wird oft als nussig-holzig beschrieben und gilt als besonders haltbar.
Manzanilla
Den Namen Manzanilla tragen Fino-Sherrys, die in der Hafenstadt Sanlúcar de Barrameda hergestellt werden. Das maritime Klima dort verändert die Hefeschicht und verleiht Manzanillas einen floralen Duft und einen bittersalzigen Geschmack.
Oloroso
Oloroso kommt mit 17 Vol.-% in die Solera und kann daher keine Hefe-Schicht aufbauen – er hat für die komplette Dauer seiner Lagerung Luftkontakt. Das beschert ihm durch Verdunstung einen höheren Alkoholgehalt von bis zu 20% bei der Abfüllung, eine dunkelrote Optik und einen herben Geschmack, der an Nüsse, Tabak, Holz und Leder erinnern kann.
Palo Cortado
Diese spezielle, sehr edle Form des Sherry beginnt ihr Leben als Fino und wird nach sorgfältiger Prüfung an einem bestimmten Punkt der Reifung auf 17% aufgespritet. Die Florhefe stirbt dadurch ab und er reift als Oloroso-Sherry weiter. Palo Cortado ist meist mahagonifarben und geschmacklich auffällig säurelastig mit Noten von Sauerrahm und Zitronen. Darüberhinaus sind diese Sherrys oft sehr komplex.
Vinos Generosos de Licor
Diese Sorte muss mindestens 5 Gramm Zucker pro Liter aufweisen und wird durch die sogenannte Cabeceo hergestellt: Vinos Generosos werden mit Moscatel- oder Pedro Ximénez-Weinen oder dem Most aus diesen Trauben gesüßt.
Pale Cream
Die Basis bilden Fino- oder Manzanilla-Weine, die dann mit rektifiziertem Traubenmost verschnitten werden. Das Ergebnis erinnert farblich und geschmacklich an einen Fino, ist jedoch durch die Süße gefälliger. Hefekuchen und Haselnuss lesen sich häufig in den Tasting Notes von Pale Cream Sherrys.
Cream
Cream Sherrys werden fast immer aus Olorosos hergestellt, entscheidend ist, dass der Grund-Wein komplett an der Luft, sprich ohne Hefe gereift wurde. Gesüßt wird mit Most oder Pedro Ximenez. Diese Sherrys sind meist rötlich und sehr vollmundig, mit Noten von Nougat und Karamell, aber nicht übertrieben süß.
Medium
Medium Sherry ist der Oberbegriff für Vinos Generosos de Licor, die nicht unter Pale Cream oder Cream fallen. Zwischen 5 und 45 Gramm Zucker pro Liter spricht man vom Medium Dry, zwischen 45 und 115 von Medium Sweet.
Vinos Dulces Naturales
Moscatel- und Pedro Ximénez-Trauben werden nicht nur für Verschnittweine oder als Most-Lieferanten eingesetzt, auch die Süß-Weine selbst werden rege gehandelt. Beide Rebsorten werden sehr reif geernet und sonnengetrocknet, der Most wird nur teilweise vergoren, indem bereits während der Gärung Weinbrand hinzugegeben wird. Daher der sehr hohe Zuckeranteil. Vinos Dulces Naturales werden komplett oxidativ gereift.
Pedro Ximénez
Rot und sehr dunkel sind diese Sherrys, wegen der voluminösen Süße werden sie an der Bar oft zum Süßen eingesetzt. Geschmacklich erinnern sie an Datteln, Honig und Rosinen, mit einer spannenden Fruchtigkeit.
Moscatel
Moscatel-Trauben wachsen auf Sandböden in der Nähe des Meeres, was wie auch beim Manzanilla durchaus Einfluss auf den Geschmack hat. Geschmacklich ist er floraler als sein Kumpel Pedro, oft mit vielen Zitrusnoten und merklichen Bitternoten.
Wie lange kann man Sherry lagern?
Angebrochene Moscatel-Weine halten sich teils monatelang, Amontadillos für einige Wochen – generell sollten Sherrys jedoch gekühlt aufbewahrt und möglichst schnell verbraucht werden. Offene Finos können ohne Kühlung nach Tagen anfangen, ihr Aroma deutlich zu verändern und werden merklich saurer.
Sherry in Cocktails
Auch, wenn viele Bartender – und wir selber auch – es gerne so hätten: auch in Cocktail-Form ist Sherry eine Nummer für Nerds und versierte Genießer, für die breite Masse eignen sich wenn überhaupt Moscatel und Pedro Ximénez. Aber ein Sherry Cobbler ist eine fantastische Erfrischung im Sommer, ein Bamboo mit Wermut eine wunderbar leichte Variante eines klassischen Spirit-only-Shortdrinks. Wenn ihr euch jetzt also gerade wirklich 1500 Wörter über Sherry reingezogen habt, solltet ihr das Zeug auch mal probieren. Glaubt uns: es lohnt sich.