Barfood Dosenfisch: Jahrgangssardinen & Ölsardinen
Es ist egal, ob man allein zu Hause trinkt, mit den besten Kumpels die Nacht im Club durchtanzt, mit guten, alten Freunden in der Bar sitzt oder auf einer Hausparty mit den Nachbarn die eigenen Homebartender-Skills der Öffentlichkeit präsentiert. Irgendwann, so zwischen 22:30 und 02:15 kommt dieser Hungermoment, dieses unglaubliche Verlangen nach Salz, Fett und je nach persönlicher Vorliebe oder moralischer Neigung Fleisch. Nach meiner ganz persönlichen Meinung und Erfahrung ist eine der besten Antwort auf dieses immergleiche Gefühl: Dosenfisch.
Das klingt banal. Und auch ein bisschen danach, es sich einfach zu machen. Aber so unterschiedlich wie sich Ekstase, Party und Rausch, so unterschiedlich wie sich der Genuss von verschiedenen Spirituosen und Cocktails zeigt, so unterschiedlich sind Fische in Konserven. Klar: für den durchschnittlichen Discounterkunden bedeutet “Dosenfisch” so viel wie “Tomatenhering für 89 Cent” und wir sind ehrlich, der ist ein ziemlich gutes Katerfrühstück. Aber um 03:00 Uhr morgens eine Dose 7 Jahre alter Jahrgangssardinen mit einem Spiegelei und geröstetem Brot zu früh-frühstücken, das ist ganz großes Late-Dining-Heiligtum, das ist der krönende, luxuriöse Gipfel eines ohnehin schon glorreichen Abends. Alles was ihr dafür braucht: eine Dose Sardinen – und vielleicht ein bisschen Furchtlosigkeit im Angesicht angetrunkenen Herd-Einschaltens.
Woran erkennt man guten Dosenfisch?
Highend-Fischkonserven kommen meist aus Frankreich oder Portugal, selbst innerländliche Sardinen-“Abfüller” wie PYSCIS in Österreich setzen meist auf diese beiden Länder. Dabei ist gar nicht mal so wichtig, dass auch wirklich Sardinen in der Dose landen – Makrelen, Sardinen, Sardellen, Sprotten, diverse Muschelsorten – all das kann ordentlich und mit Liebe verarbeitet eine hochwertige Konserve ergeben. Auch Thunfisch oder Lachs gibt’s in brauchbarer Qualität, allerdings gerät hier vieles oft ein wenig trocken.
Auch von der Einlage lässt sich auf den ersten Blick nicht so richtig auf die Qualität schließen – grade in Frankreich ist die Dosensardinen-Bandbreite riesig, da liegen die Dinger in Weißwein, in Fassbutter, in Tapenade (ein irre intensiver Mix aus Kapern, Oliven und Anchovies) und auch gerne mal in sehr guter Tomatensoße. Auch und gerade, wenn die Dinger “nur” in Öl liegen, sind die Qualitätsunterschiede enorm, wobei hier Berichten zufolge Frankreich eher dazu neigt, seinen Dosenfisch in hochwertiges Öl zu packen, dass man tatsächlich gerne noch mit auftunkt.
Worauf ihr immer und in jeder Preisklasse achten solltet: dass die Haut noch am Fisch ist und im besten Fall auch die Gräten. Das mag ein bisschen unappetitlich klingen und ja, gerade “frische” Ölsardinen, die nicht länger als ein bis zwei Jahren auf Öl liegen durften, haben durch die Gräten einen gewissen “Crunch”, den man als unangenehm empfinden könnte. Tatsache ist aber: In Haut und Gräte steckt ein Gutteil Geschmack, den zumindest wir uns nicht entgehen lassen möchten – außerdem sind Gräten- und Haut-freie Fischkonserven durch die Mehrarbeit oft teurer. Wer das selbst nachverkosten möchte, findet in guten Supermärkten, etwa EDEKA, oft die Ölsardinen der portugiesischen Marke Jupiter sowohl ohne Haut und Knochen als auch mit. Letztere sind übrigens ein ziemlicher Preis-Leistungskracher.
Alles jetzt ein bisschen theoretisch und mit viel: “Kann alles gut sein, wenn’s richtig gemacht ist”, zugegeben. Daher, bevor wir uns der Königin der Fischkonserven widmen, hier ein paar persönliche Empfehlungen für Fischkonserven abseits von Jahrgangssardinen:
- Miesmuscheln in Knoblauch und Chili von PYSCIS
- Pinhais Makrelen-Variationen
- Sardinen in Tapenade von Belle Iloise
- Sardinen in Fassbutter, Knoblauch, Petersilie von Mouettes D’Arvor
- Sprotten aus der Ostee mit Heidekraut und Kamille von FANGST
Was genau sind Jahrgangssardinen?
Der Name “Jahrgangssardine” legt nahe, dass das ähnlich funktioniert wie beim Wein, dass Menschen Sätze sagen wie “1987, was ein Sardinenherbst, richtig fette Fische”. Ja, die Jahreszahl steht auf der Dose, voran meist das französische Wort für Jahrgang, “Millésime 2020” liest man dann dort etwa. Tatsächlich aber geht es hier nur um das Alter, nicht um die Unterschiede zwischen den einzelnen Jahrgängen. Je länger die Ölsardinen lagern, desto mehr werden sie vom Olivenöl durchzogen. Sammler drehen ihre Dosen deshalb gerne mal alle 6 Monate, damit das auch gleichmäßig passiert. Die Sardinen werden mürber, nach etwa 4 Jahren ist dann auch kaum mehr was vom Grätenknusper übrig. Der Geschmackszenit, an dem man den Dosen die perfekte Symbiose aus Olivenöl und Fisch nachsagt, liegt wohl bei etwa 10 Jahren. Offiziell ist das meist auch das Mindesthaltbarkeitsdatum, das aber unter Feinschmeckern eher einen Verzehrzeitpunkt-Vorschlagscharakter genießt.
Theoretisch könnte man aus jeder Sardinendose eine Jahrgangssardinendose machen, aber in Frankreich nimmt man die Produktion der “echten” Jahrgangssardinen sehr ernst. Sie werden erst gegen Ende der Saison gefangen, im September, wenn sie richtig schön fett sind, was diesen Dosen dann auch ihren tatsächlichen Qualitätsvorsprung verleiht. Schon kurze Zeit nach dem Fangen werden sie von Hand mit hochwertigem Olivenöl eingedost, meist in kunstvoll bedruckte Sondereditionen mit Illustrationen von lokalen Künstlern, die es dann nur in diesem einen Jahr gibt und danach nie wieder.
In der Praxis bedeutet das für euch beim Dosenfischkauf folgendes: Ihr achtet bei den Sardinen nicht darauf, dass ihr einen bestimmten Jahrgang ergattert, sondern einfach nur auf das Alter. Das müsst ihr euch dann zwar selber ausrechnen, aber ihr kriegt das schon hin, versprochen. Meist bekommt man im Handel Dosen der letzten 5 bis 6 Jahre, wobei diese mit steigendem Alter natürlich seltener und teurer werden. Wer ältere Sardinen genießen will, muss ins spezialisierte Dosenfisch-Restaurant, sich mit einem Feinkosthändler anfreunden oder die Fischchen selbst reifen lassen.
Die Vorlieben gehen hier weit auseinander, unsere Lieblinge liegen aktuell bei 4 bis 5 Jahren – da ist der Fisch mürbe und aromatisch, aber hat noch einen gewissen Restbiss. Wer sich jetzt die ersten Döschen direkt besorgen will, dem können wir die Marken Mouettes D’Arvor und La Perle des Dieux ans Herz legen, von beiden hat uns noch kein Dosenfisch enttäuscht.
Dosenfisch als Barfood
Wenn ihr einfach nur einen Snack gegen den Suff-Heißhunger sucht, könnt ihr guten Gewissens nachts um zwei zur Küchentür reintaumeln, eine gute Fischkonserve aufreißen, die Sardinen direkt aus der Dose noch im Stehen verspachteln und euch das Öl gierig aus einem halben Meter Entfernung in den Hals kippen, wie eine dieser verdurstenden Bergsteigerinnen aus der Werbung. Das macht durchaus Spaß und verleiht einem dank viel Fett und Salz diesen Anschein von Hoffnung, den drohenden Kater doch noch abwenden zu können. Aber das ist noch lange kein Barfood.
Aber keine Panik: recht viel aufwendiger ist es deswegen auch nicht, aus einer Fischkonserve ein ansprechendes Nachtmahl zu zaubern. Die geheime Zutat für den unaufwendigen sexy Snack: geröstetes Brot. Eine Scheibe Brot kurz auf beiden Seiten anrösten, sodass es warm und knusprig wird und neben die Fischdose auf den Teller packen, alternativ die Sardinen/Sardellen/Makrelen direkt darauf platzieren – so gut wie kein Aufwand, aber man träumt sich sofort in den nächsten französischen Landgasthof. Da jetzt noch das eingangs erwähnte Spiegelei drauf … ein Traum. Vor allem mit in Fassbutter eingelegten Sardinen, die man ohnehin in besagter Butter kurz anbraten sollte, um geschmacklich auch wirklich alles rauszuholen.
Und ja: natürlich lassen sich Dinger auch in einem leichten Salat hervorragend zubereiten, auf den haben wir an Cocktailabenden aber zugegeben eher selten Lust. Profi-Trick: Wer das Öl aus der Dose nicht ohnehin mit Brot auftunkt, für den bietet es eine grandiose Dressing-Basis. Und wer genügend Zeit und Muße hat, Sardinen auf Toast in ein Fine Dining-Ambiente zu packen, serviert sie mit einer Mayonnaise aus ihrem eigenen Öl.