Warum ich kein Bartender bin
„Und so richtig in der Bar arbeiten, wär das nichts?“ Wie wahrscheinlich jeder ambitionierte Hobbykoch, so wird auch so mancher Hobbybartender gelegentlich mit wohlwollender Frechheit dazu aufgerufen, bitte möglichst minutiös darzulegen, warum’s für eine Karriere in der Gastro nicht gereicht hat. Welchen der oft vielzähligen Gründe man dann aus der Hose zaubert, darf man gern spontan entscheiden. Ich zum Beispiel fahre nach dem System „Was würde mein Gegenüber am ehesten verstehen?“. Denn so mancher dreiste Nachfrager neigt dazu, einem den Barjob förmlich aufzudrängen. Gegen Rückenschmerzen gäbe es „so Matten“, und die „Transpiranz vom andern Stern“ angesichts überfüllter Räume und körperlicher Anstrengung würde sicher aufhören, wenn ich irgendwann nicht mehr so fürchterlich nervös wäre beim Mixen vor zahlenden Gästen.
Das Argument „Hach, das ist so viel Arbeit für so wenig Geld“ bringt erstaunlicherweise nach wie vor den größten Erfolg. Zustimmendes Kopfnicken, noch ein hinterhergeschobenes „Aber die sind schon lecker deine Margaritas“ und fertig ist die Laube. Trotzdem habe ich mir genau den Satz irgendwann abgewöhnt, ebenfalls aus einer Vielzahl von Gründen. Zum einen ist er ziemlich arrogant, zum anderen gibt es durchaus sehr fair bezahlte Barjobs, deren Netto nicht zuletzt bedingt durch Trinkgeld meines je nach Lage und Lokalität deutlich übersteigt. Zum ganz anderen treffe ich berufliche Entscheidungen selbst eher sekundär des schnöden Mammons wegen – und habe mich auch schon mehrfach aktiv finanziell nach unten orientiert, wenn das Gras auf der anderen Seite grüner geleuchtet hat. Ich mag meinen Job als Redakteur, sehr gern sogar – und auch für das doppelte Gehalt würde ich nicht hinter einen Bartresen wechseln wollen. Wieso nicht? Tja, um genau das zu beantworten sind wir hier.
Ich bin stinkend faul
Zumindest im klassisch-körperlichen Sinne. Ich mag meinen Bürojob und weiß einen elektrisch verstellbaren Stehschreibtisch zwar durchaus zu schätzen, verbringe den Löwenanteil meiner Arbeit trotzdem sitzend beim Starren auf Bildschirme. Das einzige, was sich an mir körperlich verausgabt, sind meine Finger. Beim Tippen, ihr Ferkel. Ich mag das so – aber manch andere würde das in den Wahnsinn treiben. Zum Beispiel eine Bartenderin oder einen Bartender.
Denn um den Job am Brett zu lieben, musst du gerne auf den Füßen sein und darfst auch vor anstrengenderer körperlicher Belastung nicht unbedingt zurückschrecken. Bierfässer schleppen sich nicht von selbst, Stühle stellt nach Feierabend noch kein immer kein Roboter auf die Tische und auch der leider immer mal wieder notwendige Während-der-Schicht-Putzdienst oder die obligatorische verstopfte Toilette verlangen, dass du für den Job schon fit sein solltest. Früher habe ich mich auch noch damit rausgeredet, dass ich zu tollpatschig wäre – auch zum kellnern. War ich auch. Aber falls euch der Part vom großen Traum des Bartendings abhält: da kommt man mit Übung durchaus rein.
Ich bin derbe introvertiert
Trotz der Erfüllung beinahe aller klassischer Nerd-Kriterien meine ich damit nicht, dass ich antisozial wäre (was übrigens auch nur die allerwenigsten mir bekannten Nerds sind). Introvertiertheit bedeutet lediglich: der Kontakt mit anderen Menschen leert meinen Akku. Ganz egal, wie viel Spaß wir miteinander haben, nach einer Weile bin ich auf Null. Kann ich nix dafür, könnt ihr nix dafür. Und freilich: Kontakt mit anstrengenden Menschen, wie er sich selbst in den zivilisiertesten Bars nie ganz vermeiden lässt, sorgt dafür, dass der Akku schneller auf Null geht.
Die meisten mir bekannten guten Barmenschen dagegen sind extroviert: ihr Akku scheint sich zu füllen, wenn Sie sich mit anderen Menschen umgeben. Sie sind selbst nach einer kompletten Barschicht freundlich, aufmerksam und in der Lage Raum und Menschen zu lesen. Kleines Schwätzchen hier, wohlmeinender Hinweis, jetzt vielleicht mal langsam wirklich den letzten zu bestellen da, und ein Auftreten mit einer gewissen Autorität wenn es notwendig sein sollte. Kann ich auch alles in einem gewissen Rahmen, klar. Für einen Abend, dann muss ich 10 Tage in meine Festung der Einsamkeit.
Die Nacht gehört mir …
Was meinen eulentatischen Bio-Rhyhtmus angeht, bin ich für die Nachtarbeit eigentlich prädestiniert. Tagsüber bin ich der Müdigkeit immer höchstens einen Kaffee voraus, nachts wenn alles schläft, werde ich wach. Ich bade in der Stille und tanze auf dem Licht der Sterne. Also nicht buchstäblich, weil das will nicht mal ich selber sehen, aber so von der Kreativität und Schaffenskraft her.
Das bedeutet nicht, dass ich tagsüber nichts gebacken kriege, das fände mein Arbeitgeber sicher ein bisschen fatal. Es bedeutet aber, dass ich die Nacht gerne für all die Dinge nutze, zu denen ich tagsüber nicht den Kopf frei habe. Durchgeknallte Roman-Ideen, Recherche für aufregende neue Hobbys (Origami, Jahrgangssardinen, Cardistry) und, naja, Cocktailbart. Wer jetzt sagt: „Das könntest du als Nachtarbeiter doch dann tagsüber machen“, der vergisst, dass ich Familienvater bin. Und genau das führt uns zum nächsten Punkt.
… und Weihnachten auch
Wer in der Gastronomie arbeitet, arbeitet dann, wenn andere Party machen. Gut, jetzt haben die wenigsten Bars an Heiligabend offen und auch Barbeitgeber (hrhr) werden ihr Möglichstes tun, um Angestellten mit kleinen Kindern an Weihnachten und Ostern irgendwie ein Fest in Frieden zu ermöglichen. Geht aber nicht immer und vor allem nicht überall. Es geht vor allem nur in den seltensten Fällen für Job-Einsteiger, die sich selbst in den hierarchiebefreitesten Umgebungen erstmal einen gewissen Freiraum erarbeiten müssen. Selbst wenn es nur im kollektiven Unterbewusstsein des Teams ist. Und da kann ich meine 40 Jahre so silberrückig vor mir hertragen wie ich lustig bin. Wenn ich jetzt anfänge, Bar zu tenden wäre ich nun mal nicht nur der neue im Team sondern eben auch Berufseinsteiger..
Gaumen-Empathie? Geht anders.
Wenn man für Gäste mixt, geht es immer um die Gäste. Natürlich darf man sich als Bartenderin oder Bartender eine eigene liquide Handschrift aneignen, selbstverständlich kann ein Laden sich auf klassische Drinks spezialisieren und freilich kann man’s einfach zur Philosophie des Hauses machen, dass es hier nun mal keine Long Island Iced Teas oder Caipirinhas gibt.
Trotzdem mixt man für andere – man sorgt dafür, dass sie einen schönen Abend haben und Drinks auf der Karte oder in deinen persönlichen Empfehlungen finden, die sie genießen. Wenn das nicht läuft, muss man Dinge anpassen, die Ausrichtung ändern, mit der Zeit gehen und Zeugs ins Menü packen, dass man selbst nicht trinken würde. Oder irgendwann zumachen. Klar: all das muss ich als Homebartender auch bis zu einem gewissen Grad, wenn ich möchte, dass Menschen mich mehr als einmal zu Hause besuchen.
Aber welche Buddeln ich kaufe, welche Drink-Rezepte ich mir draufschaffe, welche Cocktail-Schirmchen ich im Regal habe, das wird von genau einer Sache bestimmt: meiner persönlichen Laune. Wenn ich zufällig die richtigen Sachen für einen Long Island da habe, mache ich dir gerne einen. Und wenn du zufällig auf dieselben erdig-salzigen Dirty Martinis stehst wie ich, Geilomat! Aber wenn nicht, hab‘ ich sicher einen guten Wein für dich da. Beim Homebartenden geht’s – zumindest für mich – vor allem um mich.
Macht mich das sympathischer? Wahrscheinlich nicht. Aber es macht mich auf jedem Fall zu einem schlechten Bartender – und genau deshalb überlasse ich diese hochheilige Profession lieber empathisch-engagierten Expertinnen und Experten.
Bild mit Hilfe von KI erstellt.