"Wenn wir das Ding in Minze ersäufen fällt vielleicht gar nicht auf, dass der Mixology-Artikel besser ist als unserer."

7 Cocktails, die verändert haben wie ich über Cocktails denke

Was ist eigentlich ein Cocktail? Je nachdem, wem man diese Frage stellt, fällt die Antwort grob unterschiedlich aus. Für den einen fällt darunter jedwedes alkoholische Getränk, dass sich nicht unter „Bier“ oder „Wein“ deklarieren lässt, manch anderer lässt dagegen nur Jerry Thomas‘ Definition von 1862 gelten, nach der ein Cocktail ausschließlich und immer aus der Kombination von Spirituose, Wasser, Zucker und Bitters besteht. Alles andere wäre demnach höchstens ein „Mixed Drink“.

Für uns galt, beschämend lange, dass ein Cocktail alles ist, was man ineinanderschüttet und das blöd macht. Als wir uns langsam mit dem nötigen Ernst an die Materie wagten und das Wirkungstrinken dem Genuss wich, verstanden wir langsam die feinen Unterschiede zwischen Sours, Smashes, Longdrinks, Fizzes – und entwickelten ein, wie wir finden, gesundes Schubladendenken entlang dieser Kategorien. Denn am Ende sind die allermeisten Drinks nach Templates aufgebaut: alle Old Fashioned-Varianten sind ungefähr gleich, jeder Mix aus Spirituose und Wermut folgt einer groben Manhattan/Martini-Kategorisierung und wann immer 3 Spirituosen zu gleichen Teilen gerührt im Glas landen, wird’s schon eine Art Negroni sein. Bücher wie der empfehlenswerte Cocktail Codex von Death & Co treiben das auf die Spitze und ordnen quasi alle existierenden Drinks in gerade mal 7 solche Templates ein.

Das ist großartig, wenn man Cocktails verstehen, „lernen“ und ohne ein Rezept zu haben grob nachbauen möchte – aber sobald man diese Schemata einmal kennt, kann der Spaß langweilig werden. Als säße man vor einer großen Schachtel flüssiger Legosteine und hätte unendlich viele Anleitungen für das immer gleiche, jeweils nur im Detail veränderte Piratenschiff. Glücklicherweise gibt es ein paar Drinks, die auf Kategorien und Templates pfeifen. Die sich nur mit allergrößter Mühe in ein Template quetschen lassen und trotzdem funktionieren. Cocktails, die inspirieren und ein klein bisschen die Welt auf den Kopf stellen. Für uns waren das diese hier:

Alarmed Bison

Der Alarmed Bison ist ein Cocktail, der uns gezeigt hat, wie spannend und unerwartet Geschmackskombinationen sein können. Mit Büffelgras-Wodka, Birnenpüree, Zitronensaft und einem selbstgemachten Chili-Nelken-Zimt-Sirup vereint er fruchtige Süße mit würziger Schärfe und weihnachtlichen Aromen. Diese Mischung hebt ihn deutlich von klassischen Cocktails ab und zeigt, dass Mut zu ungewöhnlichen Zutaten zu großartigen Ergebnissen führen kann. Ursprünglich in der Berliner Rivabar entstanden, hat der Alarmed Bison unseren Horizont erweitert und uns gelehrt, dass es sich lohnt, über den Tellerrand hinauszuschauen und neue Geschmackserlebnisse zu entdecken.

Chartreuse Swizzle

Der Chartreuse Swizzle hat uns beigebracht, dass ein Cocktail mehr sein kann als nur die Summe seiner Teile – dieser Drink ist ein echtes Erlebnis. Chartreuse, dieser mystische Kräuterlikör mit über 130 geheimen Zutaten, trifft hier auf Ananassaft, Limettensaft und Falernum, einen würzigen Rum-Likör aus der Karibik. Das Ganze wird dann auf Crushed Ice gegossen und „geswizzled“, was nicht nur optisch knallt, sondern auch geschmacklich Eindruck macht. Der Chartreuse Swizzle ist ein Tiki-Drink mit Mönchskutte, der zeigt, dass tropisch und kräuterlastig wunderbar zusammenpassen – und dass auch eine Aromenbombe wie Chartreuse richtig eingesetzt die erste Geige spielen kann.

100 Year Old Cigar

Der 100 Year Old Cigar ist alles andere als „normal“, weil er Geschmacksrichtungen kombiniert, die in der Menge wild klingen: hier kommen Süße, Bitterkeit und rauchige Tiefe zu einem völlig eigenen Geschmacksbild zusammen, das uns an das Bouquet einer gut gereiften Zigarre erinnert – und seinen Erfinder wohl auch. Dieser Drink macht Eindruck – da ist der gereifte Rum als Fundament, aber statt ihn mit einer klassischen Zutat wie Wermut oder Zucker zu paaren, bringt er mit Cynar und rauchigem Whisky gleich zwei bittere, herbe Elemente ins Glas. Der Bénédictine steuert mit seinen Kräutern eine subtile Süße bei, und der Absinth sorgt für einen letzten, leicht an Anis erinnernden Kick. Ein 100 Year Old Cigar zeigt, dass ein Drink tiefgründig, intensiv und „braun“ sein kann, ohne dabei überladen zu wirken. Aber zugegeben: handwerklich ist er im Prinzip ist er ein Sazerac-Twist. Nur geschmacklich tanzt er weit außerhalb jeder Norm.

Surf School Swizzle

Der Surf School Swizzle wirkt auf den ersten Blick wie eine Karibik-Party: Viel Rum, Limettensaft, Angostura und würziges Falernum versprechen eine tropische Explosion. Doch das Spannende ist hier die Balance – anders als der Trinidad Sour, der durch seine Bitters-Menge einfach voll auf Angriff geht, ist dieser Cocktail kraftvoll und dennoch harmonisch – obwohl volle 1,5 cl Angostura Bitters drin sind. Man schmeckt Rum, Gewürze und Säure in perfektem Einklang. Der Drink zeigt uns, dass selbst starke Aromen mit der richtigen Technik und Geduld zu einem runden Erlebnis werden können. Ein Swizzle, der Kraft mit Raffinesse vereint!

Oliveto Cocktail

Der Oliveto Cocktail hat uns gezeigt, dass selbst die ungewöhnlichsten Zutaten einen Cocktail bereichern können. Hier treffen Gin, Zitronensaft, Zuckersirup, Licor 43 und Eiweiß auf … Olivenöl. Das Eiweiß sorgt dafür, dass das Olivenöl emulgiert, wodurch eine samtige Textur entsteht, die nicht von ungefähr an Mayonnaise erinnert. Der Licor 43 verleiht dem Drink eine süße Vanillenote, die zusammen mit der Säure des Zitronensafts und der Würze des Gins ein Geschmackserlebnis bietet, das sowohl zitronig als auch leicht umami ist. Dieser Cocktail zeigt eindrucksvoll, wie innovative Zutatenkombinationen zu überraschend köstlichen Ergebnissen führen können.

Vienna in Ashes

Der Vienna in Ashes fasziniert besonders durch seine untypischen Zutatenverhältnisse: Die dominante Menge an Mozart Schokoladenlikör sollte eigentlich einen süßen Dessertcocktail ergeben – doch in Kombination mit rauchigem Islay Whisky und einem Schuss Orangenlikör wird daraus ein überraschend erwachsener Drink. Trotz der reichlich eingesetzten Süße bleibt der Vienna in Ashes durch die Rauch- und Bitternoten außergewöhnlich komplex und ausbalanciert. Hier wird mit Verhältnissen gespielt, die normalerweise in die Süßfalle führen – doch stattdessen entsteht ein Drink, der spannend und vielschichtig bleibt, ohne jemals ins Kitschige abzurutschen.

Bitter Giuseppe

Der Bitter Giuseppe hat uns gezeigt, dass bitter nicht gleich bitter ist und Aperitif-Drinks eine eigene, unverwechselbare Welt eröffnen. Mit Cynar, rotem Wermut, einem Spritzer Zitrone und Orange Bitters baut dieser Drink sehr lose auf einer Mischung aus Negroni- und Manhattan-Template auf, bringt jedoch eine ganz eigene, herb-frische Note ins Glas. Wer einmal in die komplexe Bitterkeit dieses Drinks eintaucht, wird vielleicht seine Meinung über bittere Cocktails grundlegend überdenken – und die Liebe zur Aperitif-Kultur entdecken. So wie wir.


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