Es gibt Artikel, die fängst du 10 mal an. Tippst einen Anfang, löscht ihn, tippst den nächsten, löscht den auch. Tippst was, das gut kommt, tippst weiter und stellst fest: der ganze Dreck hat von vorneweg keinen Faden, da mag der erste Satz noch so gut klingen. Dies hier ist keiner dieser Artikel. Weil der Ming River Baijiu keines dieser Produkte ist, in das man künstlich einen Einstieg finden muss. Kein “Was kann ich damit machen?”-Produkt, sondern eine “Ich mix’ das jetzt mal damit und schau was passiert.”-Spirituose.
Die Flasche für dieses Tasting wurde uns von Ming River Baijiu zur Verfügung gestellt, Bedingungen an den Artikel gab es nicht. Mehr Informationen dazu am Ende des Artikels.
Klar: “Baijiu”, das haben auch die meisten knallharten Spirituosen-Nerds nur mal entfernt irgendwo gehört. “Chinesische Nationalspirituose” klingt angesichts diverser kulinarischer Halb- und Vollwahrheiten über das fernöstliche Land erstmal gruselig. Und wer an an einem Glas davon schnuppert, ist unwillkürlich gefangen in einer Mischung aus “Boah, was is’n das? Sowas hab’ ich ja noch nie gerochen?!” und “Irgendwas da drin kenn’ ich. Was ist denn der Ananasduft?”
Ming River Baijiu ist absurd kraftvoll und so ganz anders als jede andere Spirituose mit der wir je gearbeitet haben, aber nachdem wir in unsere Recherche zum Thema Baijiu eingestiegen sind, war uns sehr schnall klar: wir überreißen das nicht. Zumindest nicht sofort und ohne Hilfe. Aber wir sind ganz schlimm ungeduldige Menschen und Ming River ist ein ein Stoff, der sehr schnell sehr neugierig macht. Also haben wir die Grundlagenrecherche nach hinten verschoben und die Fragestellung präzisiert. “Was kann ich mit Baijiu machen?” fragen wir bald sehr ausführlich in unserem Kategorie-Artikel zum Thema. Heute fragen wir nur: “Was kann ich mit Ming River machen?”
Crashkurs Baijiu
Natürlich lassen wir euch nicht ganz alleine mit all euren drängenden Fragen über diesen exotischen Schnaps: Generell bedeutet “Baijiu” übersetzt aus dem Mandarin schlicht “Weißer Schnaps” und umschreibt damit fast jeden chinesischen Getreidebrand. Wohlgemerkt werden aber die meisten davon aus Sorghum-Hirse hergestellt. Unterteilt wird der Stoff in vergleichsweise viele Einzelkategorien, von denen Leicht-Aroma, Stark-Aroma, Soßen-Aroma und Reis-Aroma die wohl wichtigsten sind. Die Namen sind dabei relativ selbsterklärend – allerdings sollte man sich ab “Stark-Aroma” durchaus vor den Vertretern der Spirituosen-Kategorie in Acht nehmen: Eine Probe mit einem Soßen-Aroma-Baijiu erfüllte ganz die grausigen Erwartungen, die der edle Spender in seinem Text in uns weckte.
Das Besonder(st)e in der Herstellung von Baijiu ist wohl die Fermentation in Lehmgruben. Zunächst wird das Getreide aber gemälzt: der Zuckeranteil von Hirse ist gering – durch Ankeimen lassen unter Wasserzugabe, sprich: Mälzen, entwickelt sich aus Stärke Zucker. Ist das geschehen, wird es mit Qu, spezieller Naturhefe, versetzt und darf dann in einer Lehmgrube abgedeckt vor sich hin fermentieren. Spannend ist das vor allem deshalb, weil solche Lehmgruben permanent in Betrieb sind und so ihre ganz eigenen Aroma-Mikroklimata bilden, die sich über Jahrhunderte (ohne scheiß jetzt – die älteste ist seit 1573 in Betrieb) weiterentwickeln. Natürlich finden sich auch diverse Besonderheiten in der Beschaffenheit traditioneller chinesischer Pot Stills, über Qu konnte man stundenlang lamentieren und über die Feinheiten in der Rohstoff-Auswahl. Aber das gehört nicht hierhin und wir haben wie erwähnt noch zu wenig Ahnung davon, um euch hier einen vom 马 zu erzählen.
Die Story hinter Ming River Baijiu
Baijiu kennt hierzulande keine Sau – und weil die Hersteller vor Ort, bei sich in China, so unglaublich viel von dem Zeug absetzen, dass pro Jahr davon so viel getrunken wie Wodka und Whisky zusammen, ist das denen ziemlich scheißegal. Simon Dang, Matthias Heger, Bill Isler und Derek Sandhaus nicht. Simon, Matthias und Bill eröffneten 2014 zusammen das Capital Spirits in Baijiu – die erste Bar, sogar in China, die sich komplett dem Thema Baijiu widmete. Derek ist der Autor des ersten englischsprachigen Buches zum Thema namens Baiijiu: The Essential Guide to Chinese Spirits. Gemeinsam möchten Sie mit Ming River nicht nur einfach eine eigene Spirituosen-Marke etablieren, sondern Baijiu an sich im Westen salonfähig machen.
Die vier bündeln jede Menge Marketing-Power, Erfahrungen in China und in der chinesischen Wirtschaft und haben Ahnung von guten Spirituosen – brennen kann von ihnen aber keiner, erst recht keinen Baijiu. Für ihren eigenen Stoff suchten sie sich ergo einen Partner. Wohlgemerkt aber nicht irgendeinen, sondern die Luzhou Laojiao Distillery (das ist die mit der 450 Jahre alten Lehmgrube) in Luzhou, in der Provinz Sichuan. Die kennt man vor allem für Stark-Aroma-Baijius, zu denen dann auch der Ming River gehört, der hier mit Fokus auf den westlichen Markt, aber ohne den Geist dieses Geistes zu verleugnen, hergestellt wird. Schmecken tut das dann so:
So schmeckt Ming River Baijiu
Der klare Ming River schwenkt sich etwas cremig, zieht nur sehr langsam sehr wenige sehr dicke Schlieren. Die Nase ist wuchtig-intensiv, mit viel Kraft und Frucht: Ananas, Banane und vergorenes Obst sind klar erkennbar, als hätte man einen Rhum Agricole auf Steroiden im Glas. Papaya, medizinische Noten von Erste-Hilfe-Koffer, etwas Anis sind zu finden, dazu kommt etwas Orange und Zitrone. “Weißes Gummibärchen” ist eine Assoziation, die außerhalb unseres Tastings fällt und zwar unrühmlich klingt, aber passt.
Nase: Ananas, Banane, vergorenes Obst, Papaya, medizinische Noten, Anis, Orange, Zitrone, Gummibärchen
Mund: Ananas, Banane, Hefe, Salzzitrone, Pfeffer, Kräuter, Ingwer, Sake, Hartkäse, Thymian
Am Gaumen kommt der Baijiu intensiv-frisch und fruchtig an: Wieder spielen Ananas und Banane ganz vorne mit, dazu kommen Hefe und Salzzitrone, zusammen mit einer sehr spannenden Note von Pfeffer. Im Abgang erscheint er leicht kräutrig, mit einem Hauch Ingwer und Sake, dazu Umami-Noten von Hartkäse. Der Nachklang ist absurd lang (er hält sich mindestens eine Viertelstunde im Mund) und zeigt vor allem gerillte Ananas, dazu kommen etwas Thymian und Ingwer.
Ming River in Cocktails
In China trinkt man Baijiu aus winzigen Glaskelchen zum Essen und infusioniert die Spirituose eventuell noch mit Früchten – Cocktails sind die große Ausnahme. Ming River lässt sich natürlich auch ganz wunderbar pur trinken, allerdings wird die pure Frucht-Power dieses Produkts viele Menschen gewaltig überfordern. Wohlgemerkt wird er aber auch von Leuten aus unserem Bekanntenkreis ganz formidabel aufgenommen, die man mit etwas milderen Agricole-Rhums ähnlicher Aromatik jagen kann. Trotz seiner Urgewalt hat er ergo durchaus das Potenzial sich aus der Nische herauszubewegen. Helfen tun ihm dabei spannende Drinks.
Alarmed Dragon | Cocktail-Rezept mit Baijiu, Chili & Ananas
Der Alarmed Dragon kombiniert den robusten Ming River Baijiu mit scharfen und süßen Elementen, um einen lebendigen und feurigen Cocktail zu kreieren. Dieser Drink bietet eine aufregende Geschmacksexplosion, die mutige…
Jetzt mixenWeil es für so etwas wie den Ming River kaum bis gar keine “klassischen” Cocktails gibt, sammelt das Ming River-Team auf drinkbaijiu.com diverse Rezepturen rund um Chinas Nationalspirituose. Bein einigen davon wie dem R & V Ming River aus der Bar Rot & Vogel in Frankfurt bedienen wir uns ungeniert. Der Sour mit Shiso-Sirup, Eiweiß und weißem Port ist eine wahnsinnig breite und doch erfrischende Angelegenheit. Mit dem Paper Crane twistet der Bartender David Putney den Cocktail-Klassike Paper Plane und kombiniert dafür Ming River mit Amaro und Campari – der Name “Papierkranich” beflügelt uns dann auch zu den Origami-Garnishes, die wir bei einigen unserer eigenen Drinks einsetzen.
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Fazit: Wundervoller Einstieg in eine Spirituosen-Kategorie, die für die meisten von uns noch unentdecktes Land darstellt. Aber eigentlich ist wurscht, ob Ming River nun ein Baijiu ist oder ein abgefahrener Ananas-Obstbrand-Rhum-Agricole-Cuvée: er bereichert unsere Hausbar um etwas, das es dort vorher noch nicht gab. Er bringt uns auf Ideen. Und er schmeckt. Mehr geht nicht.
Daten: China, um 35 Euro, 0,7 Liter, 45 Prozent
Ming River hat uns eine Flasche des Baijiu für redaktionelle Zwecke zur Verfügung gestellt, danach aber weder auf Art noch Umfang eventueller Artikel, noch das Tasting Einfluss zu nehmen versucht. Wir sagen Danke für die tolle und unkomplizierte Zusammenarbeit.