Was ist eigentlich … Absinth?
Wenn man sich die Spirituosen-Welt wie eine große, zersplitterte Gruppe verfeindeter Liebhaber-Lager vorstellt (ist sie nicht, höchstens manchmal), dann sind Absinth-Fans dieser ganz seltsame Stamm aus dem Westen, von dem keiner irgendwas genaues weiß, mit dem sich aber auch keine Sau anlegen will.
Da ist auch egal, dass das gar nicht so viele sind und sie keine große Lobby haben. Bis heute denken viele Leute, Absinth wäre verboten und wenn nicht das, so mache er doch wenigstens verrückt. Die kleine Gruppe eingeschworener Absinth-Freunde tut auch nicht besonders viel, um das zu ändern: trinkt unter sich, zeigt sich nur selten auf Spirituosen-Messen, kauft bei den drei, vier hochspezialisierten Fachhändlern und genießt ihren Stoff in aufwendigen Ritualen, über deren genaue Ausführung sie sich Gerüchten zufolge mit großer Freude streiten.
Dieser Artikel versucht hier und heute ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen und die wichtigsten Fragen zu beantworten, kann dabei aber wahrscheinlich nur an der Oberfläche kratzen. Vor allem, weil wir – das müssen wir zugeben – an der grünen Fee eher als Cocktail-Zutat Interesse haben. Den Pur-Genuss und den Großteil der bewegten und spannenden Geschichte dieser Spirituose überlassen wir den Experten.
Was ist Absinth genau?
Wer als erstes Absinth gebrannt hat, weiß man heute nicht, wohl aber, wo er genau herkommt: Aus dem Val de Travers, einem Tal im Schweizer Kanton Neuenburg. Hier entwickelte sich das Destillat im 18. Jahrhundert als Heil-Elixier aus mit Wermut versetzten Wein (den wir heute als Wermut kennen, um die sprachliche Verwirrung komplett zu machen). Damals wie heute galt: Absinth ist eine Spirituose mit bis zu 90 Prozent Alkohol, bei der vor allem die Aromen von Wermut, Anis und Fenchel vorherrschend sind. Der Wermut ist es auch, der dem Getränk seinen Namen verleiht, lateinisch heißt er Artemisia absinthium.
Es kommen aber oftmals auch Dutzende weitere Kräuter zum Einsatz. Die Herstellung erinnert dabei an einen Gin: Neutral-Alkohol, zuweilen auch ungereifter Weinbrand, wird mit den Kräutern mazeriert und anschließend erneut destilliert. Findet sich unter den Absinth-Kräutern auch Wacholder (gibt’s), fällt er dann eigentlich auch unter die Kategorie Gin. Zumindest theoretisch.
Warum nennt man ihn Die grüne Fee?
Das Ergebnis wäre jedoch ein besonders starker Gin: zwischen 45 und 90 Prozent hat das Zeug normalerweise und generell gelten die Destillate mit geringerem Alkoholgehalt als die qualitativ schlechteren. Das gilt in vielen Fällen auch für die giftgrünen Varianten, die sind meist mit Lebensmittelfarbe eingefärbt. Trotzdem erhielt der Schnaps schon früh seinen Beinamen „Die grüne Fee“ oder auf Französisch La fée verte.
Selbstverständlich gibt es auch natürlich grüne Absinthe, deren Farbe stammt aus dem Chlorophyll von Minze, Melisse, pontischem Wermut oder Ysop. Die weisen allerdings normalerweise nicht dieses künstlich-giftige aus, das viele günstige Absinthe aufweisen. Tatsächlich sind die meisten Sorten dieser Spirituose transparent oder nur leicht grünlich oder gelblich.
Ist Absinth immer noch verboten?
Jetzt sind es aber nicht nur die hohen Prozentzahlen von meist deutlich über 60 und oft über 70 Prozent und die gruselige Farbe, die den Menschen Angst einjagen – es ist auch das Thujon. Ein Stoff, der Gerüchten zufolge verrückt macht, massive Gesundheitsrisiken birgt und der Hauptgrund für das Absinth-Verbot des frühen 20. Jahrhunderts war. Er ist in den ätherischen Ölen des Wermuts enthalten, allerdings in nachweislich recht geringer und damit ungefährlicher Konzentration. Das erkannte man aber erst Ende des 20. Jahrhunderts.
Heute ist Absinth inklusive seiner Herstellung in ganz Europa und der Schweiz legal. Die hatte 1910 als erste durchgegriffen und die grüne Fee verboten. Zum einen wegen des um sich greifenden Absinthismus vor allem unter Künstlern und Kreativen, aber auch aufgrund eines tragischen Familienmordes eines Absinth-Trinkers. Bis 1923 zogen die meisten anderen europäischen Länder inklusive der USA nach. Zugegeben, bei denen war 1923 eh schon die Prohibition in vollem Gange.
Wie schlimm ist Thujon wirklich?
Im Nachhinein stellte sich übrigens die gesamte Thujon-Hysterie als reine Panikmache heraus. Die frühen Absinthe, die Menschen wie Van Gogh, Hemingway oder Edgar Allan Poe so faszinierten und teilweise in den Irrsinn trieben, die hatten keinen deutlich höheren Thujongehalt als die heutigen. Aber wenn man sich den 75%igen kistenweise in den Hals schüttet, reicht auch der Giftstoff Alkohol, um Symptome wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder Blindheit hervorzurufen.
Weil man das aber erst seit den frühen 2000ern weiß, erlaubte man den Absinth in Deutschland 1981 nur unter der Auflage wieder, dass kein Wermut zum Einsatz kommt. Als er 1991 Eu-weit wieder eingeführt wurde, galt (und gilt) die Maximal-Auflage von 35 Milligram Thujon pro Liter.
Wie trinkt man Absinth?
Weil man den starken Stoff schlecht pur trinken kann und die besonders kräftigen wie bereits erwähnt, oft auch als die besonders guten gelten, muss man das Zeug verdünnen. Absinth-Fans halten sich hier an einige sehr ausgefeilte Rituale, für die sie oftmals auch spezielle Gläser und Werkzeuge verwenden. Man unterscheidet im Wesentlichen drei Varianten:
Französisch: Etwa 2 cl Absinth werden über einen speziellen Löffel, auf dem ein Würfelzucker ruht, mit Eiswasser aufgefüllt. Anschließend wird noch einmal umgerührt. Das Ergebnis ist trüb, leicht süßlich und vor allem trinkbar.
Tschechisch: Die meistverbreitete Variante unter allen, die „Absinth auch mal probieren wollen“. Ein Zuckerstückchen auf einem Löffel wird mit Absinth getränkt, angezündet und danach in den Absinth gegeben und mit kaltem Wasser aufgefüllt. Gibt’s auch in unzähligen, dämlichen halbgaren Varianten, bei denen sich Leute mit heißem Karamell den Schnabel verbrennen.
Schweizerisch: Absinth ins Glas, Eiswasser drüber, trinken. Die unkomplizierteste Version, die sich allerdings mit besonders bitteren Absinthen als unangenehm erweisen kann.
Egal, welche Variante man verwendet: Besonders rituell wird die Sache mit sogenannten Absinthfontänen: Glasbehälter mit meist vier kleinen Wasserhähnen, aus denen man das Eiswasser für seinen Drink zapft. Wunderschöne Sache das – aber leider nur in ganz speziellen Lokalen zu finden oder ab etwa 50 Euro zu kaufen.
Die grüne Fee in Cocktails
Jetzt wollen wir niemandem seine Liebe zu Absinth ausreden, die Fee hat selbstverständlich ihren Reiz und gelegentlich ein Gläschen davon ist schon was feines. Aber für den regelmäßigen Pur-Genuss sind wir da doch recht eindeutig woanders zu Hause. Zum Glück ist Absinth auch eine wunderbare, wenn auch unterschätzte Cocktail-Zutat.
Der wohl bekannteste Drink damit ist der Sazerac – ein Rye Whiskey-Old Fashioned mit einem Schuss Absinth. Oft wird damit auch schlicht das Glas benetzt, bevor der gerührte Drink eingegossen wird. Dabei wird eine kleine Menge Absinth ins Glas gegeben und anschließend gedreht, bis überall an der Innenseite Schnaps klebt. Klingt nach Unfug – aber sorgt für einen spannenden Anis-Geruch, der den kompletten Drink verändern kann. Daher ist das auch die meistgenutzte Variante, Absinth in Cocktails einzusetzen. Entsprechend lohnt es sich für Hobby-Mixologen immer, eine Flasche Absinth im Haus zu haben. Aber die wird sehr, sehr lange reichen.