Eine Bloody Mary mit Wodka, Tomatensaft, Tabasco, Worcestershiresauce und Zitronensaft.

Corpse Reviver

Wenn ihr morgens aufwacht und das Gefühl habt, die Nacht war ein Boxkampf zwischen eurem Kopf und mindestens drei Gin-Flaschen, dann kommt euch vielleicht der Begriff „Corpse Reviver“ in den Sinn. Ihr wisst schon, diese alte Theorie, dass ein morgendlicher Drink den Kater besänftigt. Exakt in diese Kerbe schlagen die sagenumwobenen Hair of the Dog-Cocktails – mit Namen, die versprechen, euch vom halben Untoten zurück ins Land der Lebenden zu holen. Wir sagen an dieser Stelle: Kein Arzt auf diesem Planeten würde euch raten, euren Hangover mit noch mehr Alkohol zu bekämpfen. Aber hey, rein historisch und aromatisch ist das Ganze unheimlich spannend.

Die Corpse Revivers existieren angeblich schon seit dem 19. Jahrhundert, doch richtig berühmt wurden sie, als Bartender-Legende Harry Craddock sie 1930 in seinem „Savoy Cocktail Book“ festhielt. Dort finden sich gleich mehrere Versionen, allen voran der Corpse Reviver No. 2: Gin, Triple Sec, Zitronensaft, Lillet (oder Cocchi Americano) und ein Hauch Absinth geben diesem Mix den Extra-Hallo-wach-Kick. Anders als viele andere „Katerkiller“ wirkt er frisch und spritzig, mit einem leicht bitteren Kräutertouch. Besonders spannend: Schon damals schrieb Craddock, man solle nicht mehr als zwei davon trinken, „or it will unrevive the corpse again“. Wer’s weniger herb mag, kann auf den Corpse Reviver No. 1 mit Brandy und Wermut schielen oder seine eigenen Variationen erfinden. Denn genau darum geht’s bei dieser Kategorie: In Zeiten, als Kopfschmerztabletten kein Standard in jedem Haushalt waren, durfte man als Barkeeper ruhig kreativ werden, um angeschlagene Gäste wieder auf Trab zu bringen.

Hair of the Dog – Mythos oder Heilmittel?

Die Idee dahinter ist so alt wie die ersten Trinkgelage selbst: Bekämpfe Gleiches mit Gleichem. Ob das medizinisch wirklich sinnvoll ist, sei dahingestellt – die meisten Experten raten ab. Trotzdem hat sich rund um den Globus eine regelrechte Kultur von Morning-After-Drinks etabliert. Während man im angelsächsischen Raum gern vom „Hair of the Dog“ spricht, schwören in Deutschland manche auf Rollmops und Pils. Gegenüber diesen Varianten wirken die Corpse Revivers geradezu raffiniert: Statt einem harten Stamperl Schnaps bieten sie ausgewogene Rezepte, oft mit frischem Zitrussaft und bittersüßen Likören, die die Geschmacksnerven wecken und zumindest kurzfristig das Gefühl vermitteln, man könne direkt wieder durchstarten.

Zwischen Muntermacher und Kultgetränk

Egal ob ihr wirklich auf den Reviver-Zug aufspringt oder euch das alles nach einer ziemlich windigen Ausrede zum Frühstückstrinken vorkommt: Die Corpse Reviver-Familie ist ein spannendes Kapitel Cocktailgeschichte. Hier vereinen sich die wilden Experimente einer Zeit, in der Cocktails noch echte Luxus-Getränke waren, mit dem etwas zwielichtigen Ruf als Kater-Kur. Das heißt am Ende: Für Fans klassischer Drinks lohnt sich das Ausprobieren mindestens so sehr wie für alle, die nach einer durchzechten Nacht gerne mit Stil weiterfeiern möchten. Ein Corpse Reviver zum Brunch ist allemal vielschichtiger als das blanke Konterbier – aber bitte mit Bedacht. Ob ihr den Untoten damit wirklich wiederbelebt oder nur kurzzeitig mit frischen Aromen betäubt, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Hauptsache, es schmeckt und bringt euch für einen Moment raus aus der Zombiezone. In diesem Sinne: Prost – möget ihr nie genug Morgenkater haben, um es wirklich als Medizin zu brauchen!