“Fuck. Was geht’n da ab? Versteh’ ich nicht.”
Wenn eine Verkostung mit exakt diesen Worten anfängt, dann wird der Abend entweder richtig, richtig, gut oder richtig, richtig mies – aber auf gar keinen Fall langweilig. Wir müssen’s zugeben: Am Anfang waren wir mit dem Stöffchen, um das es hier und heute geht, heillos überfordert. Nicht nur geschmacklich, sondern auch ein bisschen vom tatsächlichen Verständnis dafür, was wir da gerade trinken. Aber wenn ein Mensch wie Felix Georg Kaltenthaler unter dem Motto #Destroytocreate eine neue Schnaps-Marke auf den Markt bringt, dann könnte man eigentlich damit rechnen. Aber der Reihe nach.
Was steckt hinter Kernstein?
Kaltenthaler ist leidenschaftlicher Destillateursmeister und der Mann hinter Revolte Rum. Einem Produkt, dass sich in all seinen Varianten in unsere und die Herzen diverser deutscher Bartender gebrannt hat. Und obwohl er Rum liebt, gehört seine Leidenschaft eigentlich dem Obst. Doof nur: Obstbrand gilt in Deutschland gemeinhin als unsexy, wird von Tausenden Destillen hierzulande mehr schlecht als recht verwurstet. Ausnahmen gibt es freilich, sie bleiben trotz Trend zur Qualität in der Unterzahl. Deswegen mag Kaltenthaler alleine schon das Wort “Obstbrand” nicht. Er macht lieber Schnaps.
Jahrgangs-Schnaps, genauer gesagt. Die Idee hinter seinem neuen Label Kernstein: In enger Zusammenarbeit mit Obstbauern limitierte Produkte zu brennen, die das Terroir ihrer Region wiedergeben. Von den ersten sechs Sorten der Marke entstehen jeweils nur um die 500 Flaschen. Sind die weg, sind sie weg. Die Labels werden von Hand ausgefüllt: Flaschennummer, Jahrgang, Abfülldatum, Ernte- und Destillationsmonate. Inklusive Unterschrift des Brenners. Und die setzt er in der ersten Runde unter diese sechs Brände:
1. Kernstein Error: Siegerrebe
2. Kernstein: Wonnegauer Waldhimbeere
3. Kernstein: Cacaks Schöne (Zwetschge)
4. Kernstein: Köstliche von Charneaux (Birne)
5. Kernstein: Morio Muskat (Wein)
6. Kernstein: Rye Korn
Erschienen sind bisher die ersten beiden, die anderen nehmen sich noch etwas Zeit. Und während der Himbeergeist sehr gut, aber in seiner Art und Aromatik auch sehr klassisch ist, ist die Siegerrebe … ja, was ist die eigentlich?
Was steckt hinter Schnaps Error #1 Siegerrebe?
Zunächst mal der einfache Teil: Siegerrebe – das ist, naheliegenderweise, eine Traubensorte. Gut, die ist eine Kreuzung und wenn man Wein kann, dann kann man hier schon mit der Nerderei anfangen, wir können halt nur keinen Wein. Jedenfalls: die Siegerrebe holt Kaltenthaler von einem Mann namens Daniel Mattern, mit dem zusammen er einen Orange Wine herstellt. Das ist in der Weinwelt so ein bisschen der neue heiße (und deshalb natürlich immer auch der umstrittene) Scheiß: Weißwein, der genau wie Rotwein mit der Schale der Trauben vergoren wird und dadurch mehr Farbe und Tannine aufnimmt. Aus den Traubenresten – dem sogenannten Trester – macht Kaltenthaler danach Trester-Schnaps. Falls ihr auch das noch nie gehört hat: Im Prinzip deutscher Grappa.
Statt jetzt aber den Trester abzufüllen – weil er ja Schnaps macht – verschneidet er Wein und Schnaps, und das eigentlich nur weil er Trester gar nicht mag. Teufel eins, die beiden wussten nicht einmal, ob bei diesem Experiment am Ende auch was Trinkbares herauskommt. Deswegen auch “Error”: Wildes Rumprobieren mit Risiko gehört zum Modell. Am Ende hat die Siegerrebe dann 30 Prozent und nennt sich schlicht “Spirituose”. Denn eine eigene Bezeichnung gibt es für so etwas wie die Siegerrebe nicht. Aber … kann man’s denn jetzt trinken?
So schmeckt der erste #Fehler aus dem Hause Kernstein
Orange und trüb liegt die Siegerrebe im Glas, schwenkt sich ölig und sieht damit aus wie – tja – ein Orange Wine. Der Duft: Fruchtig, leicht hefig. Assoziationen von Aprikosen und Brotgewürz wechseln sich ab, dazu kommen Zitrusfrüchte und Trauben, wenn auch eher dumpf.
Nase: Früchte, Hefe, Aprikosen, Brotgewürz, Zitrusfrüchte, Trauben
Mund: Hefe, Trauben, Champagner, Zitrone
Der erste Schluck ist nichts Geringeres als ein Moment totaler Irritation. Bitter, knochentrocken und deutlich weniger viskos als gedacht schwappt da etwas auf die Zunge, dass mit nichts zu vergleichen ist, dass wir schon einmal im Mund hatten. Und wenn wir ehrlich sind, ist die Kernstein Siegerrebe geschmacklich auch irre schwer zu entzerren: ein wildes Tohuwabohu aus Hefe, Trauben und fast spritzigen Anklängen von Champagner und Zitrone macht sich da breit. Das Geschmacksbarometer schlägt gefühlt bei jedem Schluck in eine komplett andere dieser Richtungen aus.
Diese Tasting-Eindrücke werden der immensen Diskrepanz zwischen Nase und Mund allerdings leider so gar nicht gerecht – denn auch, wenn beide Notizen-Sets auf die einzelnen Aromen und Geschmacksnoten runtergebrochen ähnlich klingen, ist der Duft ein leichter, angenehmer Wind aus Neuem, der Geschmack ein Windstärke-12-Orkan der Innovation. Und vor allem Letzterer verspricht vor allem eins: flüssige Abenteuer.
Der Error #1 Siegerrebe pur und in Cocktails
Ja gut, dieser Satz mit dem flüssigen Abenteuer, der klingt jetzt so, als wäre uns von Anfang an klar gewesen, dass hierhinter Großes wartet. Aber die ersten Worte des Autors nach dem ersten Schluck waren in der Tat “Fuck. Was geht’n da ab? Versteh’ ich nicht.”. Ein paar Abende wiederkehrenden Probierens ändern das ein wenig, aber pur bleibt die Siegerrebe ein Monstrum. Um reinzukommen mixen wir also zwei Drinks, die wir im Instagram-Feed von Kernstein entdecken.
Zum einen die Martini-Variante mit der Kernstein Himbeere (4,5 cl Himbeere / 1,5 cl Siegerrebe /1 Barlöffel Zuckersirup / 1 Spritzer Orange Bitters) – schönes Ding, aber klar bestimmt von der Himbeere. Und dann: Auftritt Sieger Smash. 7/2/2 Siegerrebe zu Zucker zu Zitrone, mit ordentlich Minze, durchgeschüttelt. Unter Zugabe von Kräutern, Säure und Süße ist der Kernstein Error immer noch anders. Aber geil anders: Neu, frisch, spannend, süffig. Die Kanten noch da, aber nicht mehr so aufdringlich, die Urwucht gebändigt, aber noch wild. Nach diesem Drink läuft’s dann auch mit Eigenkreationen. Muss es auch – denn adaptieren kann man wenig angesichts von vollkommen Neuen.
Siegerita (Margarita-Adaption und vollwertige Mahlzeit)
- 4 cl Kernstein Error – Siegerrebe
- 3 cl Blanco Tequila
- 3 cl Burrata-Flüssigkeit (ja, die Siffe aus der Packung, Mozarella geht auch)
- 3 cl Limettensaft
- 1 kleine Prise Salz
- 2 cl Zuckersirup
Alle Zutaten zusammen kräftig auf Eis schütteln. Es sollte sich ein Schaum bilden (deswegen das Burrata-Wasser). Bildet sich keiner, entfernt ihr das Eis und shaked noch einmal ohne. Das nennt sich Reverse Dry Shake. In eine geeiste Coupette abseihen. Mit geröstetem Roggenbrot mit Burrata, Olivenöl, Salz und Pfeffer servieren.
BFFrench (kernig-crazy)
- 6 cl Vulson White Rhino
- 3 cl Kernstein Siegerrebe
- 2 Spritzer Angostura Bitter
- 0,75 cl Zuckersirup
- 2 Spritzer Benedictine
Alles zusammen auf Eis rühren. In eine gefrostete Coupette abseihen und mit Zitronenzeste garnieren.
Last Sieger (Last Word-Twist)
- 2 cl Chartreuse
- 2 cl Rye Whiskey
- 2 cl Siegerrebe
- 2 cl Limette
- 1,5 cl Zuckersirup
Alles zusammen auf Eis kräftig shaken und in eine gefrostete Coupette abseihen.
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Fazit: Ein flüssiger Mindfuck mit ansehnlicher Einstiegshürde – aber auch ein Benchmark der Schnaps-Innovation. Pur nur schwierig zu verstehen, in Cocktails ein Portal in eine neue, unbekannte Welt liquider Glückseligkeit.
Daten: 30 Prozent, Deutschland, 0,5 Liter, um 39 Euro
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