Seit fast 9 Monaten trage ich diesen Artikel jetzt vor mir her. Ich könnt’s auf die unzähligen Teststrecken schieben, wie so oft die ausführliche Recherche dafür verantwortlich machen. In Wahrheit habe ich einfach ein bisschen Angst. Angst vor Hausverbot in praktisch allen Frankfurter Bars auf der einen Seite, Angst vor Hausverbot in de facto allen Bars außerhalb von Frankfurt auf der anderen. Denn zwischen Mainhatten und der Welt klafft ein mit Wurstwasser gefüllter Graben, gegen den der vielzitierte Weißwurstäquator nur ein muffiges Rinnsal ist. Von hier stammt der Frankfurtini – im Sommer 2023 habe ich ihn mit Flo von Kultivierte Tresenwesen zum ersten Mal probiert, ihn seitdem einige Male nachgemixt … und irgendwie hat sich die Nummer dann verselbstständigt. Aber eins nach dem anderen.
British Pickles meet German Sausage
Erfunden wird der Frankfurtini auf dem 2022er-Sommerfest der örtlichen Wurst-Legenden von Gref-Völsing. Was bei denen im Martiniglas landet? Gin natürlich, Apfelwein als Alternative zum Wermut – schöne Idee – und als Geheimzutat, die auf den ersten Blick lieber geheim hätte bleiben sollen: Wurstwasser. Aus eigener Herstellung natürlich, direkt aus der Rindswurstdose. War als harmloser Spaß gedacht, kam aber aus irgendeinem Grund so gut an, dass der Drink spätestens im Sommer 2023 in und um Frankfurt Kultstatus erlangt hatte. Ich hörte davon und wehrte mich. Solange, bis ich im Juni 2023 mit Kollege Florian in einer PopUp-Bar im Frankfurter Tower One landete.
Ella Harrington – Barchefin des gloriosen Londoner Quantum Pour – hatte dort eine Reihe adaptierter Drinks mit englischen Foodpairings auf die Karte gesetzt und den Frankfurtini mit diversen britischen Pickles kombiniert. Was soll ich sagen? Es war nicht unsere erste Station an dem Abend und ein Teller handgemachte Mixed Pickles mit einem Umami-Drink klang mehr als verführerisch – und war es dann auch. Klar: Könnte man auf die tolle Stimmung, den wunderbaren Service, die fantastische Gesellschaft und den affengeilen Babymais in rotem Wermut schieben. Aber weil ich so geflashed war, habe ich das Ding dann zu Hause nachgemixt; und erstaunlicherweise war die Nummer immer noch … vielversprechend. Hier kommt jetzt der Part, an dem ich mich in Frankfurt unbeliebt und außerhalb Frankfurts unglaubwürdig mache: das Ding kann schon was, braucht aber meiner Meinung nach für Massentauglichkeit ein etwas anderes Profil. Zumindest, wenn man es ohne grenzgenial Eingelegtes reicht.
Lange Rede, kurzer Sinn: für eine Interpretation nahe am Originalrezept schaut ihr Flos wundervolles Video. Für einen je nach Standpunkt mehr oder weniger bekloppten Ansatz lest ihr weiter:
Zutaten
- 4,5 cl Dry Gin
- 1,5 cl Weißer High Ester Rum
- 1,5 cl Apfelwein oder Cidre
- 1,5 cl Wurstwasser (Homemade)
Zubereitung
- Alle Zutaten zusammen auf Eis ins Rührglas geben.
- Kräftig rühren, bis das Glas von außen beschlägt.
- In eine eisgekühlte Coupette oder ein Martiniglas abseihen.
- Mit Wurst garnieren oder Alternativ Wurst dazu reichen.
- Trinken.
Nicht dein Drink? Probier einen anderen:
Warum dieses Rezept und kein anderes?
Wir experimentieren quasi an allen Stellschrauben ein wenig herum. Die, an der wir am Ende am wenigsten drehen, ist der Apfelwein. Der funktioniert für sich hervorragend in diesem Mix, Alternativ-Varianten mit Apfelbitters von Ferdinands und weißem Wermut gehen glorios schief. Ein niedrig-alkoholisches Apfel-Gär-Getränk mit guter Säure-Süße-Balance ist hier schlicht und ergreifend die beste Wahl, wenn’s nahe am Original sein soll. Apropos nahe am Original: Wir ersetzen einen Teil des Gins durch hochestrigen weißen Rum, explizit einen mit ausgeprägten Oliven-Noten. Cachaça ginge auch. Worum’s aromatisch geht, ist dieser Hauch von gemüsigem Funk, den Flo etwa mit den Olive Cocktail Bitters einbringt – wobei dieser eher auf der kräutrigen Seite des Olivenspektrums landen.
Bleibt das Wurstwasser. Da ist Gref-Völsing in und um Frankfurt gesetzt und wir verstehen warum. Für alle Nicht-Hessen: am Lokalpatriotismus liegt es nur bedingt – denn wer einmal einen Frankfurtini mit Gref-Völsing-Saft von der Rindswurst probiert hat und das Ding später mit der Siffe aus dem Bockwurst-Glas vom Discounter nachmixt, erlebt sein blaues Wunder. Obwohl – blau werdet ihr ja gar nicht, wenn ihr den Drink wegschüttet. Das Original-Wurstwasser hat eine wunderbare, würzige Aromatik, die großartig für den Drink funktioniert. Trotzdem glauben wir, dass da ein paar Prozent mehr gehen und experimentieren mit eigenem Wurstwasser. Mit Erfolg: ein Mix aus 3 Teilen Käsekrainer und 1 Teil Weißwürsten erweist sich als fantastischer Mix, der den Frankfurtini für uns nochmal auf ein neues Level hievt. Durch die Käsekrainer kommt eine ähnliche Würze rein wie durch die Rindswürste, aber gefühlt ein Tacken mehr Volumen, die Weißwurst macht das Ganze mehrdimensionaler und paradoxerweise sogar etwas leichter. Vermutlich wegen der Petersilie.
Die Crux, beziehungsweise eigentlich die Cruxens, wenn es diesen Plural denn gäbe:
- Das Wasser darf keinesfalls kochen – wenn die Käsewürste platzen und der Käse ins Wasser läuft, wird das ganze Wasser muffig.
- Ihr müsst das Wasser möglichst frühzeitig abfüllen; am besten schöpft ihr eine Tasse ab, sobald die Würste fertig sind. Je länger sie im Wasser abkühlen, desto “dosiger” wird euer Artesanal-Wurstwasser.
- Ihr solltet mit eurem Wurstwasser einen Durchlauf durch den Kaffeefilter einplanen, um das überschüssige Fett loszuwerden – übrigens auch, wenn ihr das Original aus der Dose benutzt.
- Das Wurstwasser ist nicht haltbar. Stellt ihr es einmal in den Kühlschrank, ist es ungenießbar. Aufbrühen, abkühlen lassen, innerhalb von 1 bis 4 Stunden ungekühlt aufbrauchen.
- Ihr braucht gute Würste vom guter Metzger. Und die können regional vollkommen unterschiedlich ausfallen.
Die richtigen Zutaten für den Frankfurtini
Wir arbeiten beim Wurstwasser-Martini gerne mit merklichem Wacholder, haben aber wenig Lust darauf, dass er die ganze Nummer überfährt. Viel mehr Varianz gibt es aromatisch für uns wohlgemerkt auch nicht – Zitrus-Gins wirken deplatziert und alles, was fruchtig wird – inklusivem dem apfeltastischen Bembel Gin, der thematisch passen würde – schießt am Ziel vorbei. Ausnahme: Wenn ihr auf einen trockenen Wermut geht statt auf Apfelwein, tariert sich das aromatisch ein wenig aus, im Direktvergleich zum klassischen London Dry + Apfelwein merkt man aber, dass da was nicht stimmt. Welcher Dry Gin denn jetzt eigentlich passt? Hayman’s London Dry, Tanqueray No. 10 oder No. 3 London Dry machen alle eine ordentliche Figur.
Wer den Rum nicht einsetzen möchte, greift zu Olivenbitters und bleibt bei Gin – allen anderen legen wir den Compagnie des Indes Jamaica Great White Rum oder den Rum Artesanal Burke’s White Blended Rum nahe. Fehlt noch was? Ach ja, der Apfelwein. Für ein authentisches Erlebnis solltet ihr schon einen original-hessischen Apfelwein besorgen – erneut hat Flo da gute Tipps. Alle anderen gehen in den Supermarkt mit der besten Weinauswahl im Umkreis von 20 Kilometer und suchen eine Flasche, auf der die Worte “Bretagne” und “Brut” vorkommen. So, wir gehen dann mal Wurst essen. Solltet ihr auch – am besten dazu, statt als Garnitur mit im Glas. Welche ist allerdings vollkommen egal. Wir entscheiden uns ganz lokalpatriotisch für Nürnberger Bratwürse. Mit Sempft.
Die Einkaufsliste für den Frankfurtini
- Hayman’s London Dry Gin*
- Cidre de Pomme Brute*
- Compagnie des Indes Jamaica Great White Rum*
- Schicke Coupettes*
- Oder du wirfst direkt einen Blick in Cocktailbart’s Liquideria auf amazon.de*
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Die Bilder für diesen Artikel wurden mit Hilfe von KI erstellt.
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Ein sehr interessanter Cocktail, mit Wurstwasser… Da dachte ich erst wie soll dass denn schmecken. Ich habe den Cocktail spaßeshalber einmal selber probiert und muss sagen es war gar nicht sooo schlecht. Die Kombination aus Gin, Rum, Apfelwein und Wurstwasser ergibt einen eigenwilligen Geschmack, der durchaus interessant ist. Die Idee, regionale Einflüsse in einen Cocktail einzubringen, ist sehr cool. Ob der Cocktail jedem Schmecken wird bezweifle ich, dafür ist er doch zu speziell, aber es war auf jeden Fall mal was anderes.