Spirituosen-Tastings sind toll: Man lernt Menschen kennen, die das eigene Hobby teilen, bekommt ausführliche Beratung und darf sich durch eine Auswahl an hervorragenden Schnäpsen verköstigen. Allein: In der Praxis gerät so manches Tasting ein wenig steif. Beileibe nicht jedes, klar, aber nur allzu oft wird allzu eifrig diskutiert, ob man da nun Weizen, Roggen oder frisches Heu riecht im vierten schottischen Single Malt des Abends. Und wenn man dann anmerkt, dass ebenjener einen hervorragenden Rob Roy abgeben würde, wird man angeschaut, als hätte man sich die Hose über den Kopf gezogen und sich zur Königin Neu-Wittenbergs ausgerufen.
Zwei Jungs die das zumindest im Großraum Hamburg ändern wollen, sind Alexander Pilz und Marc Albracht von Tins & Tales: Zwei ehemalige Bartender mit Faible für gute Drinks und große Cocktail-Historie. In ihren Tastings erklären sie die verkosteten Spirituosen nicht nur, sondern zeigen auch, wie man sie zu Hause ohne großen Aufwand in spannenden Cocktails weiterverarbeitet, wenn einem gerade nicht der Sinn steht nach purem Genuss. Für Cocktailbart.de hat sich Alexander ein wenig Zeit freigeschaufelt, um ein paar Fragen zu beantworten:
Cocktailbart.de: Hallo Alex! Willst du dich unseren Lesern eventuell kurz vorstellen?
Alexander: Moin moin und die besten Grüße aus Hamburg. Ich bin seit gut 15 Jahren in der Gastronomie unterwegs und habe auch gleich mit meinem ersten Job hinter der Bar begonnen. Ich habe viele Stationen in dieser Branche durchlaufen. Ich stand unter anderem in Luxushotels hinter dem Tresen, bin auf Kreuzfahrtschiffen um die Welt gefahren, verbrachte ein Jahr in Großbritannien und habe in angesagten Szene-Bars auf St. Pauli den Barlöffel kreisen lassen. In den letzten Jahren befasse ich mich immer intensiver mit Spirituosen und der Geschichte von Cocktails.
Cocktailbart.de: Unterscheidet sich die Arbeit in Stationen wie London oder Hamburg – Städte mit sehr ausgeprägter Barkultur – von der Arbeit auf dem Kreuzfahrtschiff, wo der Durchschnittsgast wahrscheinlich nicht so den Bezug zur gehobenen Bar hat?
Alexander: Ich hatte das Glück eine Zeit lang als Barchef auf der MS Europa 2 anheuern zu dürfen. Auf den Schiffen von Hapag Lloyd wird die Barkultur noch sehr gelebt. Eher im klassischen Sinne. Der Aperitif vor dem Essen etwa gehört für viele Gäste ganz selbstverständlich zum Tagesablauf. Die gut betuchten Herrschaften, die ihre Reisen auf den besten Kreuzfahrtschiffen der Welt buchen, wissen oft, wie sie ihren Martini oder Manhattan mögen und probieren auch mal etwas Unkonventionelles aus. Ich habe einem Stammgast aus Hamburg häufiger einen Gin Basil Smash zubereitet.
Der stand natürlich nicht auf unserer zeitlosen Bar Karte und wir haben ihm dann täglich den frischen Basilikum aus den unendlichen Weiten der Kühlhäuser im Bauch des Schiffes besorgt. Ein betagter stilsicherer Dauerfahrer hat eines Abends den knallig grünen Drink am Nachbartisch entdeckt und mich daraufhin gefragt, was das sei. Nach kurzer Erklärung hat er ebenfalls einen bestellt. Er war dann so überzeugt, dass ich jeden Abend zwei davon mixte. Ein tolles Bild, einen achtzigjährigen Kaufmann im doppelreihigen Navy Blazer und Halstuch mit einem fancy Gin Basil Smash in der goldberingten Hand zu sehen. Auch die Nachfrage nach hochwertigen Spirituosen war hier eine andere. Der Digestif zählte ebenso zum Ritual vieler routinierter Kreuzfahrer. Das ging über selten Grappa, diverse Obstbrände über Rum bis hin zu Whisky.
Worauf du in deiner Frage angespielt hast, habe ich allerdings auch erlebt. Ich bin zwei Jahre für AIDA Cruises gefahren. Das war um 2010. Auf den Club-Schiffen sind natürlich die großen bunten Drinks angesagt. Wenn ich aber etwas Zeit für die Gäste hatte, konnte ich sie oft für klassische Drinks begeistern. Zum Beispiel ist der Weg von einer Bailey’s Colada zu einem Pusser’s Pain Killer kein allzu großer. Doch der Pain Killer hat so viel mehr Esprit, Stil und Geschichte. Das fanden die Gäste dann auch toll. Bei AIDA gibt es jeden Tag eine selbst produzierte Board Sendung. Bei der war ich täglich als Vertreter der Bar zu Gast und habe dann immer einen klassischen Drink (die es ja auch auf unserer Karte gab) vorgestellt. In der Weise konnte ich dann schon Einfluss nehmen.
Also um auf deine Frage zurück zu kommen. Die Arbeit in großen Grand Hotels in London oder Hamburg, ähnelt sehr der Arbeit auf einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff. Der Alltag auf großen Kreuzfahrtschiffen hat mir aber auch oft die Gelegenheit gegeben, meine Liebe zu altbewährten und geschichtstriefenden Drinks mit den Gästen zu teilen. Wenn die Passion für etwas da ist, kann man sie – wo auch immer – weitergeben.
Cocktailbart.de: Nach (oder noch während?) deiner Zeit an der Bar hast du mit Home Cocktails losgelegt, im Prinzip Foodboxen für Homebartender. Wie kamst du – als jemand der davon lebte, dass Leute in Bars gehen, auf die Idee, die Leute mehr beim zuhause mixen zu unterstützen?
Alexander: Ich habe irgendwann mit Anfang 30 für mich erkannt, dass ich nicht mein ganzes Leben nachts und fast jedes Wochenende hinterm Tresen stehen kann. Das kennen viele Bartender. Jeder stellt sich die Frage früher oder später. Für mich hieß es dann, ein neues Betätigungsfeld suchen. Es sollte nach wie vor um Cocktails und Spirituosen gehen. Das ist einfach meine Leidenschaft. Außerdem bin ich ein großer Fan der Digitalisierung und habe dann das eine mit dem anderen verknüpft und bin schließlich auf die Idee der Cocktail-Boxen für Zuhause aus dem Online Shop gekommen.
Cocktailbart.de: Ich weiß von einem deiner Cocktail-Seminare, dass du den Leuten auch mal zeigst, wie man mit einem Smoothie Shaker Cocktails zubereitet, wenn man keinen Shaker hat – welche Rolle spielt bei den Home Cocktail Boxen und bei euren Tastings die Machbarkeit für absolute Einsteiger?
Alexander: Die Machbarkeit stellt neben Geschmack und Coolness einen wichtigen Punkt bei der Auswahl dar. Es ist sehr wichtig, dass auch ein unerfahrener Hobby-Barkeeper den Drink mit praktischer oder schriftlicher Anleitung zubereiten kann. Aber selbst, wenn ein Drink auf den ersten Blick schwierig zuzubereiten scheint, bekommen das Anfänger doch meistens hin. Wir mixen in unseren Workshops regelmäßig mit Eiweiß, frischen Kräutern und dekorieren mit Crustas oder Rauch. Ganz ehrlich, wenn du jemandem zeigst, wie eine Smoking Gun funktioniert, kann er die nach zwei Minuten auch bedienen. Und die Leute stehen auf so abgefahrene Techniken!
Cocktailbart.de: Für Tins and Tales hast du dir einen Partner ins Boot geholt: Marc. Wie kamt ihr zwei zusammen?
Alexander: Tatsächlich hat Marc mich eher mit ins Boot geholt. Er hat schon im letzten Jahr regelmäßig viele Tastings veranstaltet. Bei mir war das die letzten Jahre einfach immer mal wieder zwischendurch ein Thema. Eher nebenbei. Wir sind beide schon lange in der Hamburger Bar Szene unterwegs. Haben hier und da mal etwas zusammen gemacht. Marc hatte dann die Idee zu zweit zu arbeiten. Nachdem er mich überzeugt hatte, habe auch ich eingesehen, dass es sinnvoll ist, die Arbeit aufzuteilen.
Cocktailbart.de: Folgefrage: Ergänzt ihr euch in euren Stärken und Interessen oder seid ihr eher Kompetenz-baugleich?
Alexander: Zum Glück ergänzen wir uns gut. Marc ist heiß auf die Tastings, die Planung und Durchführung. Er steckt auch richtig tief in der Gin-Thematik. Meine Schwerpunkte sind im Moment eher Whisky und Rum. Da ich mal Wirtschaft studiert habe, kümmere ich mich auch um die Buchhaltung und das Marketing.
Cocktailbart.de: Schaut man sich Fotos von euren Tastings an, wird schnell klar: Einfach sechs Gläser mit Schnaps füllen und dann darüber reden, ob man jetzt Roggen oder Gerste riecht, war euch zu fad. Wie sieht denn ein normaler Tastingabend bei euch aus?
Alexander: Ich denke, schon gleich zu Beginn der Tastings unterscheiden wir uns von vielen anderen Veranstaltern. Bei uns gibt es erstmal einen Aperitif. Ein aufgepimpter Klassiker. Der lockert die Atmosphäre. Unsere Gäste verstehen spätestens jetzt, dass der Abend anders verläuft als eine herkömmliche Verkostung und wir haben schon zum Anfang Gelegenheit, die erste Geschichte über den Cocktail zu erzählen. Deswegen ja auch Tins & Tales. Das Storytelling nimmt viel Platz ein. Auch die Atmosphäre ist bei uns lässiger. Die Tastings finden immer in besonderen Locations statt. Noch eine Besonderheit zum Ablauf: Nach den Geschichten und dem Probieren der Spirituosen mixen wir gemeinsam mit unseren Gästen Cocktails. Gemeinsam heißt, wer Bock hat, kann auch selber den Shaker in die Hand nehmen.
Cocktailbart.de: Ohne irgendjemanden bloßstellen zu wollen: Wenn man 10 Leute, die davor noch nie einen Shaker in der Hand hatten, Cocktails mixen lässt, passieren sicher die lustigsten Sachen – das kennt jeder Hobby-Bartender von der letzten Hausparty. Hast du da auch ein, zwei besonders erinnerungswürdige Anekdoten auf Lager?
Alexander: Erstaunlicherweise klappt das immer richtig gut. Wir passen selbstverständlich auch wie die Schießhunde auf, dass keiner einen falschen Handgriff macht und erklären sehr ausführlich, wie es richtig gemacht wird. Ein Erlebnis ist mir allerdings doch im Kopf geblieben. Bei einem Gin-Tasting hier in Hamburg saß ein Gast um die 40 Jahre. Relativ unscheinbar. Der Typ war immer sehr aufmerksam. Hat hier und da mal eine sehr interessante Frage gestellt. Soweit so gut. Als es dann ans Mixen ging, war er der erste Gast hinterm Tresen. Ich wollte ihm noch erklären, wie er die Flaschen richtig hält und wie rum der Jigger gehört, da fängt der Kerl plötzlich an, in allerbester Flair Barkeeper-Manier die Flaschen und Shaker durch die Luft zu werfen und zu jonglieren. Die anderen Gäste waren gut am feiern. Ich wusste gar nicht, wie mir geschieht. Als er dann mit geübten Handgriffen die ersten Drinks gezaubert hatte, verriet er mir ganz bescheiden, dass er bis vor zehn Jahren selbst Barkeeper und dass Flair Bartending seine große Leidenschaft war. Geiler Typ!
Cocktailbart.de: Was plant ihr für die Zukunft – habt ihr weitere Ideen für Spirits und Tastings auf Lager, die du jetzt schon anteasern möchtest?
Alexander: Ich möchte gerne in Zukunft ein Wermut/Dessertwein Tasting durchführen. Ich hoffe, dass es dafür genügend interessierte Trinker gibt. Und reine Cocktail -Workshops werden wir in naher Zukunft auch mehr anbieten. Dann auch gerne themenbezogen: Tiki oder Whisky-Cocktails. Neben unseren öffentlichen Tastings bieten wir auch Tastings für Unternehmen an. Die buchen das als Kundenevent oder Weihnachtsfeier. Da können wir uns immer massiv austoben. Die verrücktesten Locations, selbst fassgereifte Spirituosen, uralte Portweine, die wir Stunden vorher dekantieren, mehrere Stationen, die in Gruppen durchlaufen werden, usw. Das macht richtig Spaß und bringt jedes Mal neue Ideen, die auch in die Gin-, Rum- oder Whisky-Tastings einfließen.
Cocktailbart.de: Und zum Abschluss noch eine richtig schmutzig-indiskrete Frage: dein ganz persönlicher Lieblingsdrink?
Alexander: Ach komm schon! So eine Frage an einen Barkeeper?! Schwierig. Über all die Jahre wohl am beständigsten Manhattan oder Rob Roy. Momentan trinke ich auch gerne Tiki Drinks. Schön kräftig und mit vielen Zutaten, die vermeintlich nicht zusammen passen. Oder verrückte Cocktails wie den Chapeau mit ausgefallen Zutaten wie Balsamico, Salz und Lakritz. Das ist mein Ding.
Buchen könnt ihr die Tastings von Alex & Marc über www.home-cocktails.de – die nächsten Termine sind ein Rum-Tasting am 21.03., sowie das Gin-Tasting am 23.03. und 06.04.
Pics by: Tins & Tales
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