Ein deutscher Gin mit Namen “Gretchen Gin”, in der hochkantigen Obstlerflasche, auf dem Etikett jede Menge Obst und eine finster dreinblickende Dame in Schwarzwälder Tracht, noch mit dickem Schriftzug Schwarzwald mit drauf, damit auch ja jedem klar ist, dass das Produkt aus der Heimatregion des deutschen Gin-Booms stammt. Wir geben unumwunden zu: unter anderen Umständen hätten wir diesen Gin vielleicht gar nicht so genau angeschaut.
Die Flasche für dieses Tasting wurden uns für redaktionelle Zwecke zur Verfügung gestellt, Bedingungen gab es nicht. Mehr Informationen dazu am Ende des Artikels.
Warum wir dann doch einen Blick riskiert haben? Wegen des kleinen Wörtchens “Schladerer” auf der Flasche. Gretchen stammt nämlich aus dem ehrwürdigen Haus der gleichnamigen Obstbrenner-Dynastie und braucht damit zum einen keinerlei Rechtfertigung, sich “Schwarzwald” auf’s Etikett zu knallen. Zum anderen macht die gute Dame im Windschatten ihrer Herkunft aber auch jede Menge Durst: Destillen-Chef Philipp Schladerer hat mit seinem Beitrag zu Belsazar Vermouth und zuletzt auch mit dem Schladerer Maraschino gezeigt, dass er versteht, was die moderne Bar gerne hätte, macht dabei aber keinerlei Anstalten, das Obstbrenner-Erbe zu verstecken. So auch hier nicht.
Die Story hinter dem Gin aus dem Hause Schladerer
Klar: So ganz ohne Marketing-Story kommt Gretchen trotz des großen Namens nicht aus. So geht das Rezept des Distilled Gins laut der offiziellen Historie auf Alfred Schladerer zurück, der es 1947 selbst entwickelt haben soll. Viel wichtiger als der genaue Inhalt der Rezeptur ist aber ohnehin, dass er sie seiner Frau Greta gewidmet hat, die nach seinem Tod 1956 das Unternehmen weiter- und zu großem Erfolg führte. So ist der Gin trotz aller “Story” doch am Ende vor allem eine Liebeserklärung. An eine Ehefrau und Anführerin, aber auch an große Brennertradition.
So stammt der Gretchen Gin aus den traditionellen Brennblasen des Hauses und setzt auf Beeren, Kräuter und Gewürze mit Bezug zum Schwarzwald. Während die – bis auf den obligatorischen Wacholder – nicht näher genannt werden, wird der hinzugefügte Quittengeist sowie die Fichtensprossen in der Kommunikation explizit hervorgehoben. Die Erwartungshaltung daher: fruchtig-frisch, aber insgesamt wohl eher New Western Dry-ig. Aber wir werden überrascht.
So schmeckt Gretchen Gin
Klar und fast schon fettig schwebt Gretchen durch’s Glas, zieht fette Nasen an der Glaswand. Der Duft: Wacholder. Nicht überbordend brachial, sondern weich, mild und trotzdem eindeutig. In seinem Fahrwasser schieben sich auch gleich die Fichtensprossen dazu, zusammen mit ein wenig Birne und Marille. Mit etwas Zeit zum Atmen lässt sich auch die Quitte klarer ausmachen, zusammen mit Rosmarin und sanft-floralen Veilchen.
Nase: Wacholder, Fichtensprossen, Birne, Marille, Quitte, Rosmarin, Veilchen
Mund: Fichtensprosse, Sandelholz, Rosmarin, Wacholder, Zitronenmelisse, Orangenschale, Äpfel
Auf der Zunge: Viel mehr Fichtensprosse, dazu Sandelholz und Rosmarin – erst dann der Wacholder. Insgesamt irre kräutrig und frisch, dabei aber nicht altbacken, sondern vielschichtig und spannend. Die Fruchtigkeit, die in der Nase noch klarer war, muss man ein wenig suchen: Im Nachgeschmack präsentiert sich etwas Zitronenmelisse und Orangenschale, der zweite Schluck zeigt dann Anklänge von grünen Äpfeln.
Grechten Gin in Cocktails
Wer einen klassischen Gin sucht, aber beim London Dry (je nach Marke) entweder an der schieren Kraft oder der drögen Plattheit scheitert, der findet hier ein Produkt, dass durchaus mit merklichem Wacholder aufwartet, über sein definierendes Botanical hinaus aber gekonnt mit Kräutern und Früchten spielt. Die Fichtensprossen versprechen obendrein eine immense Frische, die sich in vielen Gin-Klassikern großartig macht.
Im Gin Tonic testen wir Gretchen mit Schweppes Red Pepper und Dr. Polidori Grape Tonic und sind mit beiden Ergebnissen zufrieden – das Traubentonic macht einen fruchtigeren, gefälligeren G&T, der wahrscheinlich leichter unter die Gäste zu bringen ist, die Schweppes-Variante gefällt uns wegen der Würze, die beide Produkte miteinander entfachen, persönlich ein wenig besser. Klassische Negronis oder auch ein Negroni Blanc, wie wir ihn zuletzt in einem anderen Artikel gezeigt haben? Funktioniert beides formidabel.
Die Highlights im Test aber? Martinis – in allen Darreichungsformen. Als klassischer, trockener Martini mit etwas Öl aus einer Zitronenzeste abgespritzt, als Dirty Martini mit einem guten Schuss Olivenlake oder – der Sieger! – einem Gibson Martini nach Le Lion-Rezept mit 5 cl Gin und je einem cl Quinquina und Wermut, dazu, freilich, Silberzwiebeln. Wer Martinis liebt, könnte sich also trotz seines finsteren Blickes sehr leicht in das schöne Gretchen verlieben.
Fazit: Kräutrig-frischer Gin mit fruchtigen Anklängen, der in einer Blindverkostung vielleicht nicht durch Wiedererkennungswert punktet, aber in Gin-Klassikern auf jeden Fall mit einer gekonnten Mischung aus Ausgewogenheit und Kraft begeistert.
Daten: 44 Prozent, um 28 Euro für 0,7 Liter, Deutschland
Die Flasche Gretchen Gin, die hier zum Einsatz kam, wurde uns für redaktionelle Zwecke zur Verfügung gestellt, dabei wurde aber weder auf eventuelle Artikel noch auf das Tasting Einfluss genommen. Wir danken für die ausnehmend freundliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit.
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