Dieser Artikel war eine saudumme Idee. Vielleicht war auch München als Ziel die eigentliche saudumme Idee. Aber Tatsache ist: Während wir uns für In 10 Cocktails durch Regensburg gemütlich durch die meisten Cocktailkultur-relevanten Bars der Stadt trinken konnten, ohne auch nur im Ansatz Stress, Platznot oder ungeplante Saunagänge zu erleiden, hat uns München in der Hinsicht eine gescheuert. Für die bayerische Hauptstadt ergibt der ganze Grundgedanke des Artikels überhaupt keinen Sinn. Unsere Regensburg-Tour, die kann man nachtrinken. Unsere München-Tour ist ein absurdes Schauspiel des Verlorenseins und der vertanen Zeit. Was aber nicht an München liegt – sondern an uns.
Der schweineschwierige Cocktail-Artikel über München
Als wir diesen Artikel schreiben, liegt die Tour durch München bereits über zwei Monate zurück. Trotz ausführlicher Notizen, toller Bars und glorioser Drinks konnten wir uns nicht dazu aufraffen, diese Zeilen zu tippen. Ginge es nur darum, die spannende Stimmung um 2:30 Uhr nachts im Schumann’s zu beschreiben, diese Mischung aus betrunkenen Allerweltsmenschen, Schickeria-Gschaftlern und Quasi-Nackten-Damen mit Champagnerglas und gelangweiltem Blick an der Bar, das wäre einfach. Ginge es darum, nur darüber zu schreiben, wie es die Goldene Bar mit dem Ghost Reviver No. 69 geschafft hat, aus Kümmel, Absinth und noch mehr Schnaps einen absurd runden, weichen Shortdrink der Extraklasse zu mixen, der uns über die Maßen überrascht hat – kein Stress.
Aber es geht um eine Cocktail-Tour durch München. Eine Tour, bei der wir es nicht mehr ins beliebte und bekannte Zephyr geschafft haben, weil es um halb elf schon überfüllt war. Ein Tour, bei der wir uns aus Erschöpfung schon recht früh abseits der Cocktail-Reise einen Burger im nächstbesten Hipster-Laden holten und dabei jede Menge Zeit verloren. Eine Tour, bei der wir nach zehn Minuten wieder aus einer Bar kamen, weil die so überfüllt war, dass wir uns keinen Millimeter rühren konnten, fotografieren unmöglich war und wir uns den Schweiß aus den Augenbrauen wischen mussten. Eine Tour, bei der wir ungefähr fünf Kilometer gelaufen sind, obwohl wir doch eigentlich nur was trinken wollten.
Drink and Sit statt Shot and Run
Packen wir das alles in einen Artikel über die Münchner Cocktailbars, dann macht das die Stadt gefühlt ziemlich unsympathisch. Nicht, dass München an sich sympathisch wäre, aber die Bars hier sind es. Dem wollen wir gerecht werden, können es aber nicht wie wir wollen, weil wir uns zu sehr darauf konzentriert haben, den “In 10 Cocktails durch”-Charakter aufrechtzuerhalten. Darauf, möglichst viel zu sehen, darauf, einen groben Gesamteindruck einer Stadt mit Hunderten Bars zu zeigen, von denen wahrscheinlich mindestens 50 für den Artikel relevant wären.
Tatsache ist: Wären wir auf eine ganz normale Bar-Tour gegangen, hätten wir keinen Artikel darüber schreiben wollen, was wir hier erleben, wäre folgendes passiert: Wir hätten unsere erste Station, die Goldene Bar, nicht um halb 9 verlassen, sondern wahrscheinlich gegen 11. Nicht leicht angeheitert, sondern schon ziemlich auf Pegel, weil wir uns gar so zu Hause gefühlt haben. Wir wären zum Zephyr gegangen und hätten gewartet, bis wir reinkommen, statt weiterzurennen. Wir hätten in der überfüllten Sauna-Bar einfach was getrunken und uns an irgendwem gerieben, statt über fehlenden Platz für Kameras zu jammern. Statt mit drei Smartphones Routen mit der Bar-Shortlist abzugleichen, hätten wir uns vom Bartender die nächste Station empfehlen lassen und wären dann eben dorthin gestiefelt.
Die Sache ist ganz einfach die: Du kannst Cocktails in München nicht erleben, wenn du sie um jeden Preis an einem Abend erleben willst. Wir sind so dumm.
In 10 Cocktails durch München: was wird daraus?
Wir machen den Artikel natürlich trotzdem – weil wir finden, dass die meisten der Drinks und Bars, die wir probieren und besuchen durften, diese Bühne verdienen. Wir erzählen den Abend rückwärts – aus Gründen, die ihr verstehen werdet, wenn ihr die ganze Reihe verfolgt. Wie bei In 10 Cocktails durch Regensburg veröffentlichen wir die Stationen einzeln, wochenweise. Der erste, zur legendären Schumann’s Bar, in der unser Cocktail-Abend ausklang, erscheint am Freitag, den 13.01.
Was bedeutet das jetzt für diese, zugegeben eh noch sehr junge Artikelreihe? Mehr Freiheiten, weniger “Wir müssen uns an den Plan halten.” Mehr “Lass mal dableiben.”, mehr Spontaneität. Wenn wir in kleinen Städten wie Bamberg unterwegs sind, werden wir immer noch versuchen, das wundervolle Kaff leerzusaufen. Und wenn wir in Hamburg oder Berlin sind, gehen wir erstmal dahin, wo wir wirklich hinwollen – und lassen uns dann treiben. Ist für euch authentischer – und für uns bleibt mehr Zeit zum trinken.
Cocktail 16, 17 und 18: Schumann’s Bar
Als wir im Schumann’s ankommen, der letzten Bar für diesen Abend (ihr erinnert euch: wir erzählen den Abend verkehrtherum) sind wir nicht betrunken. Aber angetrunken und müde. Vom vielen Laufen durch dieses stressige und verwinkelte Höllenloch, das München nun mal ist. Ein bisschen enttäuscht noch und entmutigt noch von der Bar davor. Dass das Schumann’s, dieser sagenumwobene Ort, benannt nach seinem sagenumwobenen Chef als letzte Bar auf unserer Tour gelandet ist, das liegt an den Öffnungszeiten – die meisten anderen schließen um zwei, hier geht der Abend bis drei.
Wir finden den Eingang zunächst nicht, laufen mehrmals an etwas vorbei, das wie eine Filmpremiere aussieht und mit seinen hektischen und geschäftigen Leuten um 2 Uhr nachts einfach nur nervt. Wir “unterhalten” uns mit ein paar ziemlich betrunkenen, aber ziemlich netten Damen darüber, wo denn das Schumann’s wäre. Sie wissen’s auch nicht. Wir stehen davor. Oder zumindest vor dem Schumann’s Camparino, der angeschlossenen kleinen Cafe-Bar, die so dunkel und leer ist, dass wir uns erst nicht sicher sind, wo wir da jetzt sind und ob das das Schumann’s sein kann. War es dann aber einen Vorhang weiter doch.
Das Schumann’s: was ist das, wo sind wir hier?
Als wir hineinkommen ist die Mischung, ziemlich genau wie man sie sich vorstellt: An der Bar unterhält sich ein aufgeregter Kreis von scheinbar gelangweilten Menschen in karierten Westen und mit Halstüchern mit einem Betrunkenen. An einem Ende des Tresens sitzen einzelne, ernste Männer in schwarzen Anzügen, ohne Krawatten, dafür mit goldenen Uhren, mit interessiertem Blick ans andere Ende des Tresens. Dort wiederum sitzen Frauen in Kleidern ohne Stoff am Rücken, die regelmäßig Champagner vor die Nase gestellt bekommen, scheinbar ohne welchen zu bestellen.
Als wir ankommen, sind alle Tische reserviert, obwohl die Bar bis auf den Tresen fast leer ist. Der sympathische und offene Kellner kommt auf uns zu, fragt uns kurz ob wir zu dritt sind und setzt uns an den nächsten “reservierten” Tisch. Die Karte liest sich wie das Reader’s Digest von Schumann’s legendärem Bar-Buch. Wohlgemerkt: Gefühlt sind alle Rezepte aus der Bar-Bibel drin, nur das Drumherum wurde gekappt.
Wir sehen uns ehrfurchtsvoll um. Der Raum atmet die Stimmung der Münchner Schickeria, die weißen Kittel der Kellner und Bartender lassen die Herren wie eine Mischung aus Wissenschaftler und Koch wirken. So anders. Und obwohl hier scheinbar viel Geld sitzt, wir nicht nach Geld aussehen und wir mit unseren verpeilten, müden Augen gefühlt so gar nicht reinpassen in diese Bar, die modern und altmodisch auf einmal wirkt, fühlen wir uns geborgen, aufgehoben und genau richtig. Also bestellen wir.
Die Cocktails in der Schumann’s Bar
Das Schumann’s ist eine ganz klassische Cocktailbar, bedeutet also: jeder Cocktail-Klassiker aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist hier bekannt und steht wahrscheinlich auch auf der Karte. In den 70ern und 80ern ist Charles Schumann höchstselbst verantwortlich für einige der moderneren Klassiker, die selbst das dunkle Cocktail-Mittelalter überstanden haben: Tiefseetaucher, Schwermatrose, Swimming Pool, all das hat dieser Mann als erster gemixt. Aber auch heute noch entstehen hier regelmäßig großartige neue, moderne Drinks. Wir erzählen euch das an dieser Stelle nur, weil unsere Cocktail-Runde im Schumann’s zufällig und ungewollt eine Zeitreise durch die Welt der Cocktails geworden ist. Eine wundervolle.
Der Autor dieses Artikels bestellt sich einen Sazerac, einen Cocktail-Klassiker des 19. Jahrhunderts. Sowas wie der Old Fashioned für Leute, denen Old Fashioned zu weibisch ist. Weil er den schon immer mal vom Profi probieren wollte, aber irgendwie noch nie dazu kam. Die Mischung aus Absinth, Rye Whiskey und Bitters sollte eigentlich reinknallen wie Seuche – ist aber mild, weich und spannend-würzig. Der gigantische, quadratische Eisblock im Glas sprüht nur so über vor Style. Geiler Drink.
Der Swimming Pool, diese Mischung aus Ananassaft, Rum, Cream of Coconut und Wodka, dieses süße Monster, das viele Bartender heutzutage regelrecht verachten – das ist der Drink der Wahl von Cocktailbart-Thomas. Und er hat nichts, aber auch gar nichts, mit den Beach-Party-Drinks zu tun, an die wir uns alle mit Grauen erinnern. Er ist süß und cremig, fruchtig, aber alles in der Waage. Er schmeckt so altmodisch, wie er ist – aber so wie Salami-Pizza altmodisch schmeckt, nicht wie Hawaii-Toast es tut. Ihr versteht schon. Geiler Drink.
Unsere wundervolle, junge, überaus attraktive und ortskundige Begleitung entscheidet sich für den London Leaves: einen Cocktail, den der ehemalige Head-Bartender des Schumann’s, Mario Zils, hier erfunden hat und der mit der Mischung aus Gin, Minzblättern und Gurkenscheiben ganz nah am heutigen Gin Tonic– und Moscow Mule-Hype schwimmt. Dank Apfelsaft und Wasser nimmt sich der Drink aber mehr zurück, ist frischer, süffiger und etwas ganz eigenes. Er macht wach und belebt, ist leicht. Geiler Drink.
Was wir am Schumann’s lieben – und was nicht
Wir waren nur einen Abend hier, also haben wir schlicht und ergreifend nicht die Fachkompetenz, um einen Satz über diese ehrwürdigen Hallen mit “Schumann’s ist” anzufangen. Aber als wir die Bar um 03.00 verlassen, sind wir mit dem Abend, der im Mittelteil etwas kränkelte, versöhnt. Die Kundschaft und die Stimmung im Schumann’s, das war so, wie sich München in Filmen und Serien zeigt: Stilvoll und gehoben, fast schon abgehoben zwar, aber ohne die Nase in der Luft. Etwas kühl, aber gastfreundlich. Von nüchterner Herzlichkeit. Das passt, genau so wie’s ist. Wir kommen wieder.
Cocktails 13, 14, 15: Pusser’s New York Bar
Als wir die vorletzte Bar an diesem Abend in München betreten, tun wir das hauptsächlich, weil sie auf dem Weg zwischen Jaded Monkey und Schumann’s liegt. Weil wir irgendwie noch mehr als drei Bars mitnehmen müssen und weil praktisch alles, an dem wir jetzt vorbeikommen („jetzt“, das ist irgendwann deutlich nach Mitternacht), entweder schon schließt oder heillos überfüllt ist.
Das Pusser’s wurde uns empfohlen und angeraten, aber so richtig auf die Da-müssen-wir-hin-Liste hat es die Münchner Kult-Bar im Vorfeld nicht geschafft. Das war – rein aus Recherche-Sicht – ein Fehler. Besitzer und Gründer Bill Deck ist durchaus ein Mann, von dem man schon mal gehört haben sollte – vorausgesetzt, man gehört zu der Sorte Leute, die von Bartendern hört.
Wo sind wir hier?
Pusser’s steht nicht für irgendwelche Sauereien, sondern für den Purser: Ein Kerl, der auf Marineschiffen früher Rum-Rationen austeilte und umgangssprachlich einfach Pusser genannt wurde. Pusser’s steht aber wohl auch für den gleichnamigen Rum, der hier allgegenwärtig ist, vor allem auf dem Haus-Cocktail Pusser’s Painkiller – einem Tiki-Drink in der Blechtasse, den Bill Deck selbst entwickelt hat. Seinen Namen hat das Pusser’s allerdings erst seit 1993.
Gegründet hat Deck es 1974 als Harrys New York Bar und damit quasi als eine „Filiale“ der gleichnamigen berühmten Pariser Cocktail-Institution. Auch wenn sich diese Partnerschaft später aufgelöst hat, war sie zunächst sehr erfolgreich, vor allem aber waren Bars damals hierzulande ein absolutes Novum. Das heutige Pusser’s war damals eine von nur ganz wenigen stilvolleren Bars außerhalb eines Hotels. Was heute als „klassische Barkultur“ gilt, das war für Bill Deck in dieser Zeit ein Trend, den er erst eigenhändig setzen musste.
Noch heute bleibt er seinen damals gezeichneten Grundlinien treu. Er denkt klassisch und schlicht, was seine Drinks angeht, auch sein Sohn und Nachfolger David Deck bleibt klassisch. 2015 erhält Bill Deck den Mixology Bar Award für sein Lebenswerk – wer weiß schließlich, wo die moderne Barszene ohne ihn heute wäre? Vor allem, weil 1974 einer seiner ersten Bartender ein damals noch weitgehend unbekannter 33jähriger Mann namens Charles Schumann war.
Unser Besuch in der Pusser’s New York Bar
Als wir im Pusser’s ankommen, ist uns von all dem nichts bekannt. Bill Deck, von dem haben wir tatsächlich schon gehört, aber ihn mit dieser Bar in Verbindung gebracht hätten wir ihn nie. Der Laden sieht aus wie ein ganz normaler Pub und das allgegenwärtige Pusser’s-Logo lässt ihn leider wirken, als hätte der britische Rum in jeder größeren Stadt eine Filiale dieser Bar, die vor Geschichte und Geschichten trieft, ohne dass wir zu diesem Zeitpunkt etwas davon ahnen.
Wir werden freundlich begrüßt, bekommen einen Dreier-Tisch im ziemlich engen Piano-Zimmer und schauen uns die Karte durch. Die wirkt mit der ziemlich offensiven Bewerbung des Haus-Cocktails Painkiller in vier Stärken und der ellenlangen Cocktail-Liste leider ebenfalls ein wenig wie eine Touristen-Falle. Zumindest wenn man – so wie wir – keine Ahnung hat, wo man hier gerade ist. Unser Kellner ist freundlich, aber lustlos. Die Piano-Musik ist stimmungsvoll, der enge, niedrige Raum mit den Terracotta-Wänden leider nicht.
Im Nachhinein wissen wir: den Painkiller hätten wir mal probieren sollen, schließlich ist die Bar bekannt dafür. Allein: auf Rum mit Muskat und Cocktail-Kirschen-Spießchen hatte an dem Abend keiner Lust – vor allem weil laut Karte Kokosmilch zum Einsatz kam, laut Becher-Aufdruck des Nachbartisches Cream of Coconut. Damit kann man zuverlässig schon eine Piña Colada versauen. Also entschieden wir uns für andere Drinks.
Die Drinks im Pusser’s
Die bezaubernde Dame in unserem illustren Kreis entschied sich für einen Lady Hamilton – einen Drink aus Pusser’s Rum, Passionsfruchtsaft, Orangensaft, Limettensaft und Ginger Ale. Das Fazit dazu im Originalton: „Ja, puh. Ich glaub’ das war heute einfach schon zu viel mit Rum.“. Zu deutsch: ein guter, ein ordentlicher Tiki-artiger Drink, aber leider ohne klare Linie. Klassischer Rum mit Saft eben.
Cocktailbart-Thomas hatte einen Summertime Fizz aus Gin, Holunderblütensirup, Sodawasser und Zitrone. Ein klassischer Gin Fizz, nur eben ergänzt um den Faktor Holunder. Klingt in der Theorie erfrischend und schmackhaft, deswegen hat er ihn ja auch bestellt. Schmeckte aber wie eine süße Holunderexplosion mit einer wahrnehmbaren aber machtlosen Säure. Der Autor dieser Zeilen trank einen Dark and Stormy. Der war geschmacklich absolut in Ordnung, Ginger Beer mit Rum eben. Simpler Drink, großartige Kombination. Doof nur: der Cocktail kam umgerührt an, das spannende Farbenspiel aus Nebel (Ginger Beer) und Gewitterwolken aus dem gefloateten Rum, das diesen Drink ausmacht und ihm seinen Namen gibt, ging verloren.
Was wir am Pusser’s mögen – und was nicht
Was wir anfänglich als Recherche-Fehler bezeichnet haben, unser Unwissen über diesen Urknall des deutschen Bar-Universums, der das Pusser’s nunmal ist – hat dafür gesorgt, dass wir hier ohne rosa Brille hereinmarschiert sind. Was jetzt im Nachhinein allerdings für Autoren-Herzschmerz sorgt: Denn statt 40 Jahren hochdestillierter Barkultur gab es für uns hier zwar brauchbare, aber keinesfalls herausragende Cocktails.
Wo das Schumann’s (unsere letzte Station auf unserer Münchner Cocktail-Tour, ihr erinnert euch?) eben klassisch statt altmodisch ist, Trends mitgeht ohne sich verbiegen zu lassen, da wirkt das Pusser’s auf uns leider ein wenig aus der Zeit gefallen. Schade.
Teil 4 des Artikels mit der Münchner Cocktailbar Jaded Monkey erscheint am 27.01.
Cocktail 10, 11 und 12: Jaded Monkey
Das Jaded Monkey ist unsere zweite Bar an diesem Cocktail-Abend in München. Aber in dem Moment, da wir durch die Tür kommen, ist der Affe mehr als das. Er ist ein Hafen der Gemütlichkeit in dieser unwirtlichen Stadt. Voll aber nicht überfüllt, eng aber nicht eingeengt, nicht zu leise, nicht zu laut. Wir ankern hier nach einer stundenlangen Odyssee durch München, auf der wir alles andere als den geraden Weg von der Goldenen Bar zum Jaded Monkey eingeschlagen haben.
Einen Weg, auf dem wir in überfüllten Kneipen mehr Flüssigkeit ausschwitzen als nachzufüllen, woanders gar nicht erst reinkommen und uns schließlich vor Hunger und Ermattung eine halbe Stunde ins Wartezimmer eines überfüllten (aber leckeren) Hipster-Burgerladens setzen. Kurz nachdem wir ankommen, schaffen wir es, uns zusammen mit einer anderen wartenden Gruppe innerhalb von Sekunden in eine freigewordene Nische mit Couchtisch zu quetschen. Endlich ist Zeit für die Dinge, die man in einer Bar tut: Ankommen. Sitzen. Cocktail-Karten angucken. Sich fragen, wo man überhaupt ist:
Was ist das Jaded Monkey für ein Laden?
Chef und Inhaber Bill Fehn stammt ursprünglich aus New York und kam dort von Klein auf mit der Gastronomie in Berührung – schon sein Onkel hatte eine Bar. Aber auch Bill ist – genau wie wir an diesem Abend – kein Mann des geraden Wegs. Bevor er 2014 das Jaded Monkey eröffnet, wird er Konditor und Patissier, arbeitet in der gehobenen Küche und kommt über diesen Job auch nach München. Hier zieht es ihn während seiner Ausbildung zum Konditormeister aus Geldnot wieder an die Bar. Er bleibt ihr treu, bis heute. Wer mehr über ihn wissen will, liest die liebevolle Homestory von Verena Borell über Fehn.
Jetzt gerade in diesem Moment steht Bill Fehn hinter der klein wirkenden Bar seiner Münchner Gaststube, die mit dem Einrichtungs-Mix aus Nippes-Krams, Industrie-Karabinern mit kiloschweren Ketten auf den Tischen und Stall-Lampen an der Decke so auch in Berlin stehen könnte. Oder in der Garage von Opa. Bill Fehns langer Rauschebart lässt ihn in diesem Moment für uns wirken, als wäre er eine filigrane, elegante, sexy Cocktail-Variante des Weihnachtsmanns. Er fällt auf. Genau wie seine Drinks.
Die Cocktails im Jaded Monkey
Unsere bezaubernde Begleitung bestellt sich einen Spanish Fig – ein rötlicher Drink im Weinkelch, mit Portwein, Rum, Feige, Limettensaft und Honig. Er ist süßlich-fruchtig, der Portwein tonangebend. Dieser Drink ist großes Cocktail-Handwerk, kann aber angesichts von Geschmackskomposition und Aufmachung nicht verschleiern, dass er ein ganz klarer Weiberdrink ist. Um der Gerechtigkeit genüge zu tun – der Autor dieser Zeilen fand ihn zugegeben auch lecker. Cocktailbart-Thomas bestellt sich einen A(r)pium, einen Twist des Apium Den aus dem Fung Tu in Fehns Heimat New York. Mit Gin, Saffron Gin, frischgepresstem Selleriesaft, Zitronensaft, Zucker, Ei und rotem Pfeffer ist er würzig-frisch und besitzt eine irre cremige Konsistenz mit einem festen Schaum. Gefühlt ein bisschen wie eine weiße Bloody Mary.
Der Autor dieser Zeilen bestellt sich einen Poison Monkey. Darin: Tonkabohnen-Bourbon, Cold Drip Coffee, Picon Amer (ein Orangen-Bitterlikör), Benedictine und Angostura Bitters. Augenscheinlich scheint hier nichts zusammenzupassen, aber nach dem ersten Schluck ist klar: Jede dieser Zutaten ist einzig und allein dazu da, den Kaffee im Drink geschmacklich zu pushen. Der Poison Monkey ist absurd intensiv und in puncto Wach-und-blöd-Wirkung wie die hochkonzentrierte Version eines Espresso Martini. Als Drink schwierig. Als Beweis großen Geschmacks-Handwerks der Wahnsinn.
Was wir am Jaded Monkey mögen – und was nicht
Optisch und in Sachen Stimmung ist das Jaded Monkey so ungezwungen wie eine Bar nur sein kann. Das spiegelt sich auch im Publikum wieder, in dieser Mischung aus Studenten, Anzugträgern, Menschen die aussehen als kämen sie aus dem Theater und erstaunlich vielen erstaunlich jungen Leuten. Menschen unter 20, die 12 Euro für einen guten Drink übrighaben – das gibt’s auch nur in München. Die Drinks sind so vielseitig und so spannend, dass es sich hier wahrscheinlich lohnen würde, aus Gründen des Bildungstrinkens einmal die komplette Karte leerzusaufen. Dass dabei dann einige Sachen etwas zu krass für den Durchschnittsgaumen sind, das nimmt man hier gerne in Kauf
Cocktails 1 bis 9 – Die Goldene Bar
Wenn ihr diese Artikelserie fleißig verfolgt, wisst ihr über unseren Cocktail-Abend in München drei Dinge:
- Er liegt schon eine Weile zurück, weil er unsere ganze Herangehensweise an diese Artikelserie infrage gestellt hat. Und weil wir deswegen lange drüber nachgrübeln mussten.
- Wir erzählen den Abend verkehrt herum – von seinem Ende im Schumann’s bis jetzt zu seinem Anfang in der Goldenen Bar.
- Wir haben zu dritt 18 Cocktails in uns reingeschüttet.
All diese Dinge haben Ihren Ursprung am Beginn des Abends, in der Goldenen Bar im Haus der Kunst. Hier, wo direkt nebenan mitten in der Stadt die Surfer auf der Eisbachwelle reiten und sich bei einstelligen Temperaturen mit Ihren Neoprenanzügen auf die durchnässte Sperrmüllcouch neben den Fluss flacken, bis sie wieder an der Reihe sind. Hier, wo das Haus der Kunst nicht nur zeitgenössische Skulpturen und Bilder beherbergt, sondern auch eine Schmiede für flüssige Meisterwerke: die Goldene Bar.
Die Goldene Bar: Wo sind wir hier?
Hier, in der Goldenen Bar treffen mittelalterlich anmutende Wand-Landkarten auf futuristische Couchen und schmucklose schwarze Tische. Hier treffen Cocktail-Klassiker auf moderne Cold Drips. Hier garniert man mit Schäumchen – und wirft Isarsteine in den Martini on the Rocks. Hier trocknet man Campari zu roten Zuckerkristallen und serviert heiße Drinks in Tassen mit Keramikmalerei in Dorfidyll-Motivik. Ihr kennt die, Oma hat die in der Vitrine. Und vielleicht, aber nur vielleicht, fragt ihr sie nach der Lektüre dieses Artikels, ob ihr die Dinger haben dürft.
Der Grund dafür, dass wir die Hälfte unserer 18 Cocktails an diesem Abend hier trinken, ist nicht dieser klare aber feine, gewollte Stilbruch. Es ist auch nicht die Tatsache, dass der Autor dieses Artikels seit über einem Jahr Drinks aus „Cocktails – die Kunst perfekte Drinks zu mixen“ nachmixt – dem Cocktailbuch von Barchef und Besitzer Klaus St. Rainer. Der Grund ist auch nicht die Tatsache, dass man diesen Klaus St. Rainer als Barkultur-Kenner kennt, ihn sogar gelegentlich im Fernsehen und großen Magazinen sieht. Da ist er heute eh nicht. Der Grund ist ein ganz simpler: es ist gemütlich hier. Urgemütlich. Es ist gastlich und vermittelt Geborgenheit. Und es gibt Drinks mit der aromatischen Strahlkraft flüssiger Sternegerichte.
Warum endet dieser Artikel mit dem Anfang?
Wenn du eine Geschichte erzählst, und nichts anderes machen wir hier, fängst du nicht mit dem Höhepunkt an. Du sparst ihn dir auf, arbeitest darauf hin, baust Höhen und Tiefen ein und endest kurz nach dem orgiastischen Höhepunkt. Dass dieser Abend mit ebendiesem Höhepunkt angefangen hat, das ließ uns dann auch diese Artikelserie hinterfragen. Denn wie wollen wir eine realistische Sauftour durch München abbilden, wenn wir an einem realen Abend doch einfach hier sitzengeblieben wären, von sechs bis zwei? Einmal die Karte rauf und runter.
Man verstehe uns bitte nicht falsch – wir sind glücklich, im Schumann’s gewesen zu sein und im Jaded Monkey und dort spannende Cocktails von großer Handwerkskunst getrunken zu haben. Aber diese „Boah“-Momente, dieses „Was ist da genau drin?“ und das „Wieso is’n der so weich?“, das war alles hier. Das „Bitte sag mir, dass der in dem Cocktail-Buch steht!“. Das „Geht noch einer? Oder wird’s dann eng?“. Das „Und was trinkst du da jetzt?“.
Die erste Runde in der Goldenen Bar
Cocktailbart-Thomas startet mit einem Beat Root – einer abgefahrenen Mischung aus Rote-Beete-Cold-Drip und Overproof Rum mit einer unerklärlichen sanft-rauchigen Note. Das Ding war erfrischend und rund, ohne aufdringliche Noten. „Wie ein geerdeter, deutscher Tiki“ ist die Beschreibung, die wir im Nachgang benutzen.
Der Autor dieser Zeilen trinkt den Signature Drink des Hauses – den Haus der Kunst-Cocktail: Ein Champagner-Drink, garniert mit einem Gin-Tonic-Espuma und Kristallzucker aus dehydriertem Campari. Geschmacklich wie Gin Tonic mit Champagner. Abgehoben, dekadent, irre lecker.
Unsere wundervolle, wunderschöne, junge Münchner Begleitung ordert einen Klaus of Pain – einen Tiki-Drink mit Ginger Beer, in dem sich ebenjenes aber leider nicht bemerkbar macht. Dafür steigt der Drink von der ersten Sekunde an direkt in den Kopf.
Die zweite Runde in der Goldenen Bar
Thomas eröffnet mit einem Ghost Reviver No. 69, einer krude wirkenden Mischung aus Kümmel, Absinth, Curacao und Wermut. Eine Mischung, die einem die Birne wegblasen sollte und in der man damit rechnet, dass Absinth und Kümmel alles erschlagen. War aber nicht. Weich, warm, fruchtig, rund, sind die Wörter, die wir im Nachgang für dieses Glas voller Schnaps benutzen.
Der Autor bestellt sich einen Plantantion Punch – diverse Rum-Sorten, Angostura Bitters, Ananassaft, frischer Ingwer, Limette – und untermauert damit unsere Theorie, dass auch die versierten und aufmerksamen jungen Herren an der Bar aus einem Tiki keinen fein austarierten Edel-Drink machen. Guter Cocktail, wenig schmeckbare Nuancen. Auch optisch nicht vom Klaus of Pain zu unterscheiden, dank undurchsichtigem Tiki-Becher. Schade.
Unsere wahnsinnig wundervolle Münchner Begleitung bestellt sich … nichts. Nach dem Rum-Inferno vom Klaus of Pain setzt sie aus. Stellen wir aber erst fest, als wir unsere Aufzeichnungen und Fotos durchgehen. Die ganze Nummerierung ist also falsch. Merkt aber vielleicht gar keiner.
Die dritte Runde
Unsere atemberaubende, ortskundige Lieblings-Münchnerin steigt zur dritten Runde dafür mit dem vielleicht besten Cocktail des Abends wieder ein: einem heißen Drink namens Pearl Harbour mit Sake, einer Ingwerspalte, Kardamom; Cranberrynektar, Honig und Lemon Bitters. Das Ergebnis liegt irgendwo zwischen Chai-Tee und Glühwein. Zitat dazu: „Man hat das Gefühl, man trinkt was Gesundes, aber es macht trotzdem blöd.“ Wahnsinns-Drink.
Thomas trinkt ein Chocolate-Inferno. Zumindest nennen wir es so – in Wahrheit heißt der Drink schlicht Chocolate Cocktail und ist weniger Schoko-Inferno als vielmehr Kakao-Sturm. Portwein, Eigelb, Chartreuse, Muskat und Kakaopulver ergeben einen sehr tiefen, warmen Cocktail. „Wie sehr gute Zartbitter-Schokolade. Aber als Cocktail.“
Der Autor, er trinkt einen Royal Hibisco Gin Fizz – ein Gin Fizz mit einem Hibiskus-Cold-Drip und einem ganzen Eigelb, an dem er sich oft und lange selbst versucht hat, bis er gelang. Und den er jetzt eben mal im Original probieren wollte. Cremig, erfrischend, sommerlich, prickelnd – gutes Ding.
Was hat uns in der Goldenen Bar gefallen – und was nicht?
Die Bartender in der Goldenen Bar sind aufmerksam und schnell. Ihnen zuzuschauen wie sie im engen Raum hinter der Bar aneinander vorbeigleiten und aus 30 unbeschrifteten Apothekerflaschen genau die richtigen rausgreifen, das ist als würde man Ballett gucken. Nur mit Schnaps. Auf jede Frage gibt es im selbst im größten Stress die freundlichste Antwort. Jeder Drink – und die sind eh schon verflucht, also so richtig verflucht gut -, wird mit der Geheimzutat Liebe gemixt. Würden wir in München leben, würden wir ungesund viel hier rumhängen. Liebe Münchner, keine Ahnung wo ihr so viel Selbstbeherrschung hernehmt, dass es hier erst ab zehn voll ist.
In 10, 18, 17 Cocktails durch München: das Fazit
München ist nach Berlin und Hamburg wahrscheinlich die drittgrößte Cocktail-Metropole Deutschlands und macht das mit vielen Bars auf irre hohem Niveau auch jedem durstigen Besucher klar. Die schiere Bandbreite an guten Drinks und Bars lässt sich entsprechend auch niemals in einem so kurzen Artikel abbilden oder an einem Abend erleben. Und ganz klar: München schlägt unsere erste Cocktail-Station Regensburg mit ansehnlichem Vorsprung.
Was München aber fehlt das ist das, was wir den Alarmed Bison-Moment nennen. Dieser Drink, den wir im Regensburger Storstad kennengelernt haben, aus Büffelgras-Wodka und Birnenpüree und Chili-Nelken-Zimt-Sirup, hat uns nachhaltig beeindruckt wie seitdem praktisch nichts mehr. Auch hier nicht. Sorry, München.
Zuletzt überarbeitet am
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Grandios geschrieben. Ich konnte beim Lesen euren Stress an dem Abend direkt mitfühlen 😉 War es ein Freitag oder Samstag? Bin sehr gespannt auf die Serie!
Sehr cool! Das vertreibt mir ein wenig die Wartezeit bis zur nächsten Sauftour! Kanns kaum erwarten!